Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt sich vor den Gesprächen mit Russland in Istanbul diplomatisch – und überraschend offen. Von „nötigen Schritten für den Frieden“ ist die Rede, von humanitären Maßnahmen und sogar einer möglichen Waffenruhe. Ist das eine echte Kursänderung? Oder lediglich ein strategisches Manöver, um den Druck auf Moskau zu erhöhen?
Fakt ist: Die Ukraine betritt die Verhandlungen mit einer klaren Agenda – und dem Wissen, dass diplomatische Fortschritte derzeit fast ausschließlich von Russlands Bereitschaft zur Flexibilität abhängen. Doch davon war bei den letzten Treffen wenig zu spüren. Der Kreml verweigert sich nicht nur ukrainischen Forderungen, sondern reicht bislang nicht einmal seine eigenen Bedingungen transparent ein. Wer ein Memorandum erst am Verhandlungstisch übergibt, signalisiert keine Offenheit, sondern Taktieren.
Trotzdem ist Selenskyjs Geste bemerkenswert. Sie setzt Russland unter Zugzwang, erhöht aber auch die Verantwortung der europäischen Unterstützerstaaten. Deutschland, Italien und Großbritannien sind als beratende Partner in Istanbul präsent – doch ihre Rolle darf nicht auf das Zuhören beschränkt bleiben. Der Westen muss mit Nachdruck vermitteln – und notfalls mit neuen Sanktionen reagieren, sollte Moskau erneut auf starre Maximalforderungen pochen.
Dass die Gespräche überhaupt wieder stattfinden, ist ein Fortschritt. Dass es dabei um Kinder, Kriegsgefangene und humanitäre Lösungen geht, ist ein moralischer Imperativ. Aber Frieden braucht mehr als Symbole: Er braucht politische Opfer auf beiden Seiten – und einen unmissverständlichen Willen zur Beendigung des Krieges.
OZD
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Bild: AFP