Russland soll im Krieg gegen die Ukraine systematisch und in wachsendem Umfang chemische Waffen einsetzen – das geht aus einem brisanten Bericht hervor, den der Bundesnachrichtendienst (BND) am Freitag gemeinsam mit den niederländischen Geheimdiensten MIVD und AIVD veröffentlichte. Besonders alarmierend: Der Einsatz des Kampfgases Chlorpikrin, das bereits im Ersten Weltkrieg als Lungenkampfstoff verheerende Wirkung zeigte, gehört demnach inzwischen zur russischen Standardtaktik auf dem Schlachtfeld.
Die deutsche und niederländische Seite werfen Moskau schwere Verstöße gegen die internationale Chemiewaffenkonvention vor. Neben Tränengas und weiteren chemischen Substanzen komme laut Bericht vor allem Chlorpikrin zum Einsatz – ein Kampfstoff, der in geschlossenen Räumen tödlich wirken kann. „Russland setzt immer häufiger eine breite Palette chemischer Waffen ein“, heißt es in der Erklärung. Verteidigungsminister Ruben Brekelmans informierte am Freitag das niederländische Parlament über die beunruhigenden Erkenntnisse.
Schon im Vorjahr hatten Großbritannien und die USA Moskau des Einsatzes von Chlorpikrin gegen ukrainische Truppen bezichtigt. Jetzt folgen offenbar konkrete Nachweise der europäischen Dienste. Die Analyse bezieht sich dabei nicht nur auf Kampfstoffe selbst, sondern auch auf ihre systematische Anwendung: Laut Kiew wurden seit Beginn der Invasion 9000 Angriffe mit chemischen Substanzen registriert. Mindestens drei Menschen seien direkt daran gestorben – indirekt seien viele weitere ukrainische Soldaten durch Folgeangriffe ums Leben gekommen, nachdem sie aus Schutzstellungen gedrängt wurden.
Der BND warnt, dass die russischen Streitkräfte durch diese Praxis die globale Schwelle zum Einsatz chemischer Waffen drastisch senken. Laut Bericht beteiligen sich gezielt die russischen radiologischen, chemischen und biologischen Einheiten an der Entwicklung und dem Einsatz entsprechender Mittel. Zudem soll Russland massiv in sein Chemiewaffenprogramm investieren und verstärkt Wissenschaftler für die Forschung rekrutieren.
Für den Westen ist dies ein doppelter Schock: Der Bruch internationalen Rechts wird nicht mehr kaschiert, sondern offenkundig akzeptiert. Brekelmans rief daher zur Isolierung Russlands auf und forderte neben neuen Sanktionen vor allem eine „unverminderte militärische Unterstützung für die Ukraine“. ozd
OZD-Kommentar: Denn wer schweigt, macht sich mitschuldig
Der Einsatz von Chlorpikrin und anderen chemischen Kampfstoffen durch Russland ist nichts weniger als eine Kriegserklärung an die zivilisierte Welt. Dass Moskau im Jahr 2025 wieder Mittel einsetzt, die im Ersten Weltkrieg als Gräuel galten, offenbart nicht nur die Skrupellosigkeit der russischen Militärführung, sondern auch ihre zynische Einschätzung der internationalen Gemeinschaft: Man rechnet schlicht nicht mit Konsequenzen. Der Westen steht nun vor einer Bewährungsprobe – denn wer schweigt, macht sich mitschuldig. Sanktionen allein reichen nicht mehr. Es braucht dringend diplomatischen Druck, militärische Rückendeckung für die Ukraine – und den politischen Mut, rote Linien endlich durchzusetzen. ozd
OZD-Analyse
1. Chemiewaffeneinsatz in der Ukraine:
a) Einsatzstoffe
– Tränengas und Chlorpikrin im operativen Einsatz
– Chlorpikrin: giftig, reizend, kann tödlich wirken – bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt
b) Frequenz und Ausmaß
– Laut ukrainischem Verteidigungsministerium rund 9000 Einsätze seit Februar 2022
– Ziel: Schwächung der ukrainischen Verteidigungslinien, gezieltes Vertreiben aus Deckung
2. Internationale Reaktionen und Geheimdiensteinschätzungen:
a) BND und niederländische Dienste
– Gemeinsame Erklärung: Russland bricht systematisch Chemiewaffenkonvention
– Investitionen in Forschung und Personalaufbau des Chemiewaffenprogramms
b) Politische Reaktionen
– Verteidigungsminister Brekelmans fordert Isolation Russlands
– Appell für militärische Unterstützung der Ukraine und neue Sanktionen
3. Völkerrechtliche Dimension:
a) Chemiewaffenkonvention
– Verbot jeglicher Nutzung chemischer Kampfstoffe
– Einsatz von Chlorpikrin stellt schwerwiegenden Bruch dar
b) Gefahr für globale Sicherheitsarchitektur
– Russland senkt Einsatzschwelle für Chemiewaffen
– Risiko der Nachahmung in anderen Konflikten steigt
Was ist das Chemiewaffenübereinkommen?
Das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) ist ein völkerrechtlicher Vertrag von 1993, der die Entwicklung, Produktion, Lagerung und den Einsatz chemischer Waffen weltweit verbietet. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mit Sitz in Den Haag überwacht seine Einhaltung. 193 Staaten haben das CWÜ ratifiziert. Der Einsatz chemischer Waffen ist auch im Krieg unter allen Umständen untersagt und stellt ein Kriegsverbrechen dar.
Was ist der BND?
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland und einer der drei deutschen Nachrichtendienste. Seine Hauptaufgabe besteht darin, Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung zu sammeln, zu analysieren und auszuwerten. Diese Erkenntnisse stellt der BND der Bundesregierung und anderen zuständigen Stellen zur Verfügung, um politische Entscheidungen zu unterstützen und Gefahren für die Bundesrepublik frühzeitig zu erkennen.
Der BND ist dem Bundeskanzleramt unmittelbar unterstellt und hat seinen Hauptsitz in Berlin. Er beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiter. Rechtliche Grundlage für die Arbeit des BND ist das BND-Gesetz, das Aufgaben, Befugnisse und die Kontrolle des Dienstes regelt.
Im Unterschied zu Polizei oder anderen Behörden hat der BND keine exekutiven Befugnisse, wie etwa Festnahmen durchzuführen. Zu seinen Methoden gehören die Beschaffung und Auswertung von Informationen aus offenen Quellen, technische Aufklärung, Observationen und der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Ziel ist es, die Bundesregierung über Entwicklungen und Bedrohungen im Ausland zu informieren, Spionage abzuwehren und die Sicherheit Deutschlands zu schützen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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