Es ist ein Paukenschlag aus dem Verteidigungsministerium: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat laut einem Medienbericht einen Gesetzentwurf vorgelegt, der erstmals seit Jahrzehnten wieder eine verpflichtende Einberufung junger Menschen zum Wehrdienst ermöglichen könnte – auch ohne ausgerufenem Spannungs- oder Verteidigungsfall. Wie der „Spiegel“ berichtet, soll das Bundeskabinett mit Zustimmung des Bundestags die Verpflichtung anordnen können, „wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert“ und zu wenige Freiwillige bereitstehen.
Damit rückt Deutschland einer schleichenden Reaktivierung der Wehrpflicht näher. Zwar bleibe der Wehrdienst laut Entwurf im Grundsatz freiwillig, doch mit der verpflichtenden Bereitschaftserklärung für Männer und der Wiedereinführung der Musterung enthalte er bereits „verpflichtende Elemente“. Frauen sollen weiterhin freiwillig teilnehmen können – jedoch erhalten auch sie künftig Post von der Bundeswehr: Ein Fragebogen soll das Interesse an der Truppe ermitteln.
Der Gesetzentwurf, über 50 Seiten stark, soll laut Bericht bis Ende August ins Kabinett eingebracht und nach parlamentarischer Befassung ab 2026 in Kraft treten. Hintergrund ist der dramatische Personalmangel: Für neue NATO-Vorgaben bräuchte Deutschland eine Gesamtstärke von 460.000 Soldatinnen und Soldaten, aktuell liegt die Truppe aber nur bei rund 182.000 Aktiven und 49.000 Reservisten. Pistorius will nun mindestens 60.000 zusätzliche Soldaten gewinnen und die Reserve auf 200.000 ausweiten.
Dabei soll auch der Sold deutlich steigen: Alle Wehrdienstleistenden sollen als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit eingestellt werden – mit einer Bezahlung nach dem Bundesbesoldungsgesetz. Der Sold könnte bei über 2.000 Euro netto liegen, fast 80 Prozent mehr als bisher für freiwillige Wehrdienstleistende.
Doch die Reform ist in der SPD nicht unumstritten. Erst Ende Juni rang sich Pistorius auf dem Parteitag zur Kompromissformel durch, man wolle den Aufwuchs „durch Steigerung der Attraktivität“ erreichen. Doch spätestens mit diesem Entwurf ist klar: Die Tür zur Wehrpflicht steht wieder offen. ozd
OZD-Kommentar:
Boris Pistorius geht aufs Ganze. Was als vermeintlich freiwilliger Wehrdienst begann, entpuppt sich nun als Rückkehr zur Pflicht durch die Hintertür. Der Verteidigungsminister weiß um die sicherheitspolitische Lage – und um die dramatische Personalnot der Bundeswehr. Doch statt mutig einen echten gesellschaftlichen Dialog über Wehrpflicht, Zivildienst und die Rolle junger Menschen in Krisenzeiten zu starten, verpackt Pistorius seine Pläne in technische Details und bürokratische Formeln. Die politische Brisanz aber ist unübersehbar: Wer die Kriterien so offen fasst wie „wenn die Lage es erfordert“, schafft die Basis für Zwangsdienst – ohne Notstand. Das ist riskant – rechtlich, moralisch und politisch. Und es dürfte nicht der letzte Konflikt mit seiner eigenen Partei sein.
"Endlich denkt mal jemand langfristig! Die Bundeswehr braucht Personal – und wer in diesem Land lebt, sollte auch bereit sein, es zu verteidigen." Volker . G
"Pflichtdienst ohne Spannungsfall? Das ist ein Verfassungsbruch durch die Hintertür! Ich hoffe, das Bundesverfassungsgericht schaut genau hin." Anonym
"2.000 Euro netto und Ausbildung? Wenn man das klug kommuniziert, würden viele freiwillig kommen. Warum dann überhaupt Zwang? Ch. Lange
OZD-Analyse
Inhalt des Gesetzentwurfs:
– Verpflichtende Einberufung möglich, wenn Freiwillige fehlen
– Kabinett und Bundestag müssen zustimmen
– Kein Spannungs- oder Verteidigungsfall nötig
Wehrdienst-Elemente im neuen Modell:
a) Freiwillige Grundlage bleibt
– Männer müssen Fragebogen ausfüllen
– Musterung wird wieder eingeführt
– Frauen können freiwillig teilnehmen
b) Im Konfliktfall verpflichtende Einziehung
– Reaktion auf NATO-Ziele
– Bundeswehr müsste auf 460.000 Kräfte anwachsen
Bezahlung und Status:
– Status „Soldatin/Soldat auf Zeit“ für Wehrdienstleistende
– Bezahlung nach Bundesbesoldungsgesetz
– Mehr als 2.000 Euro netto im Monat
Politische Brisanz:
– Kritik aus Teilen der SPD
– Kompromissformulierung: „Attraktivität steigern“
– Wiederbelebung der Wehrpflicht nicht ausgeschlossen
Was ist der Wehrdienst in Deutschland?
Der Wehrdienst ist in Deutschland seit 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Laut Grundgesetz kann er im Spannungs- oder Verteidigungsfall wieder aktiviert werden. Die Wehrpflicht galt früher für alle Männer ab 18 Jahren, dauerte zuletzt sechs Monate und konnte durch den Zivildienst ersetzt werden. In Zeiten neuer Bedrohungslagen diskutieren Politik und Gesellschaft nun über eine Reform oder Wiedereinführung, angepasst an moderne Anforderungen.
Wer ist Boris Pistorius?
Boris Pistorius ist seit Januar 2023 Bundesminister der Verteidigung. Der SPD-Politiker war zuvor Innenminister von Niedersachsen. Er gilt als durchsetzungsstark, pragmatisch und sicherheitsorientiert. In der Bundeswehr genießt er hohen Rückhalt, in der SPD eckt er mit seiner Wehrpflichtlinie jedoch regelmäßig an. Pistorius gilt als möglicher Kanzlerkandidat, sollte Olaf Scholz nicht erneut antreten.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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