Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal einen spürbareren Rückschlag erlitten als bisher angenommen. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden korrigierte am Freitag seine Zahlen nach unten: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte von April bis Juni um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal – doppelt so stark wie zunächst mit minus 0,1 Prozent berechnet.
Ursachen sind vielfältig: Im Verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe blieb die Produktion schwächer als erwartet, zudem wurde der private Konsum aufgrund neuer Daten – etwa aus dem Gastgewerbe – nach unten revidiert. Auch die Bruttoanlageinvestitionen sanken deutlich um 1,4 Prozent. Maschinen, Fahrzeuge und Geräte wurden um 1,9 Prozent weniger angeschafft, Investitionen in Bauten sogar um 2,1 Prozent.
Auch der Außenhandel konnte keine Impulse setzen. Von April bis Juni gingen die Exporte im Vergleich zum Vorquartal leicht um 0,1 Prozent zurück. Der Chefvolkswirt der staatlichen Förderbank KfW, Dirk Schumacher, verwies auf Vorzieheffekte: Viele Unternehmen hätten ihre Lieferungen vorgezogen, um drohenden US-Zöllen zuvorzukommen.
Denn US-Präsident Donald Trump hatte im April einen Zollkonflikt ausgelöst. Zwar reduzierte er geplante Importaufschläge zunächst auf zehn Prozent, doch seit Anfang August gelten für EU-Waren nun 15 Prozent. Besonders der Autobranche setzt das zu.
Auch die schwachen Investitionen führen Experten auf die weltweite Unsicherheit zurück. Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) erklärte, viele Unternehmen hätten zudem auf die verbesserten Abschreibungsbedingungen zum 1. Juli gewartet. Für das zweite Halbjahr sieht er positive Impulse: höhere Löhne, niedrige Inflation, öffentliche Investitionen und steigender Konsum.
Ähnlich optimistisch äußerte sich Christoph Swonke von der DZ Bank, der vom Konjunkturpaket der Bundesregierung einen Auftrieb erwartet. Zudem dürfte die Einigung im Handelsstreit zwischen EU und USA die Unsicherheit dämpfen. Seit 1. August gelten gesenkte US-Zölle auf Autos aus der EU, die von 27,5 auf 15 Prozent zurückgingen.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht die Zahlen als Weckruf: „Wir brauchen mutige Strukturreformen.“ Sie forderte flexiblere Arbeitszeiten, geringere Lohnnebenkosten, weniger Bürokratie und sinkende Energiepreise. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisierte hingegen, dass Reformen blockiert würden: „Das führt dazu, dass keine Wachstumsdynamik entsteht.“
OZD
OZD-Kommentar
Die nackten Zahlen zeigen: Deutschlands Wirtschaft stottert – und die Politik schaut zu. Trumps Zölle sind Gift für die Exporte, doch hausgemachte Probleme wie starre Arbeitszeiten, hohe Energiekosten und lähmende Bürokratie verschärfen die Lage. Während andere Länder auf Reformen setzen, versinkt Berlin im Koalitionsstreit. Der Aufschwung im zweiten Halbjahr könnte kommen – doch er wäre nur ein Strohfeuer, wenn die Regierung nicht endlich handelt. Wer jetzt zaudert, riskiert den Abstieg vom Motor Europas zum Sorgenkind.
Lesermeinungen
„Wir spüren die Unsicherheit täglich in den Aufträgen. Trump ist ein Albtraum für die deutsche Wirtschaft.“ F. G.
OZD-Analyse
Ursachen des Schrumpfens
Produktion im Bau- und Verarbeitenden Gewerbe schwächelt.
Konsum rückläufig, besonders im Gastgewerbe.
Investitionen brechen ein (–1,4 % insgesamt).
Exporte leicht rückläufig (–0,1 %).
Einfluss der Handelspolitik
a) Trumps Zölle belasten Exporteure direkt.
b) Unternehmen zogen Ausfuhren vor – das drückt Folgequartale.
c) Seit August gelten 15 % Zölle für EU-Waren, stark für Autobranche.
Perspektiven für das zweite Halbjahr
Positive Effekte durch Abschreibungsbedingungen.
Öffentliche Investitionen und Konjunkturpaket.
Stütze durch steigende Löhne und niedrige Inflation.
Risiken bleiben: globale Unsicherheit, innenpolitische Reformblockaden.
Was ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP)?
Das Bruttoinlandsprodukt misst den Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden. Es gilt als zentrale Kennziffer für die wirtschaftliche Entwicklung.
Wer ist Veronika Grimm?
Veronika Grimm ist eine deutsche Ökonomin und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten Wirtschaftsweisen. Sie lehrt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und gilt als Expertin für Energie- und Wettbewerbspolitik.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.