Ein Notar aus Nordrhein-Westfalen hat vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg gehabt: Karlsruhe entschied am Dienstag, dass die Altersgrenze von 70 Jahren für nebenberufliche Notare, die sogenannten Anwaltsnotare, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Angesichts des Bewerbermangels sei sie nicht mehr gerechtfertigt. (Az. 1 BvR 1796/23)
Anwaltsnotare sind Rechtsanwälte, die mit Zusatzqualifikation auch als Notare tätig sind. Ob es in einer Region Anwaltsnotare oder hauptberufliche Nurnotare gibt, hängt vom Bundesland ab. Laut Bundesnotarkammer arbeiten derzeit 1700 hauptberufliche und 4646 nebenberufliche Notarinnen und Notare in Deutschland.
Der Kläger, ein 1953 geborener Notar aus Nordrhein-Westfalen, erreichte im November 2023 die Altersgrenze von 70 Jahren. Die entsprechende Regelung in der Bundesnotarordnung wurde 1991 eingeführt, um damals die beruflichen Chancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen und auch jüngeren Bewerbern Zugang zum Beruf zu ermöglichen.
Das Gericht betonte, dass sich die Lage im Anwaltsnotariat inzwischen geändert habe. In vielen Regionen herrsche ein Bewerbermangel. Selbst alle qualifizierten Bewerber könnten die offenen Stellen nicht füllen. Der Zwang zum Ruhestand sei daher ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit.
Die Regelung gilt noch bis Ende Juni 2026, um eine geordnete Übergangsphase zu ermöglichen. Bis dahin muss der Gesetzgeber eine neue Regelung schaffen. Notare, die bisher ausgeschieden sind, können sich erneut bewerben. Für Nurnotare bleibt die Altersgrenze bestehen, da hier mehr Bewerber als Stellen verfügbar sind.
Das Gericht machte deutlich, dass Altersgrenzen unter Umständen weiterhin möglich seien – etwa regional begrenzt, ab einem höheren Alter oder bei nachgewiesener schwindender Leistungsfähigkeit. Es betonte, dass der Alterungsprozess „stark individuell geprägt“ sei.
Der Anwalt des Notars, Gregor Thüsing, lobte die Entscheidung als „mutig und klug“. „Jemand, der älter ist und arbeiten kann, soll auch arbeiten können, wenn er gebraucht wird“, sagte Thüsing. Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, begrüßte das Urteil: „Wenn man mit 70 Jahren als Bundeskanzler Verantwortung tragen kann, dann kann man auch mit 70 als Notar arbeiten.“
OZD / ©AFP
OZD-Kommentar
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts setzt ein klares Signal für die Berufsfreiheit älterer Arbeitnehmer und reflektiert die demografische Realität in Deutschland. Prognose: Immer mehr Berufsgruppen werden ihre Altersgrenzen hinterfragen müssen, vor allem in Bereichen mit Fachkräftemangel. Starre Regeln nach Kalenderjahr haben ausgedient, individuelle Leistungsfähigkeit und regionale Bedarfe rücken in den Vordergrund.
Lesermeinungen
„Endlich ein Urteil, das gesunden älteren Menschen ihre Arbeit ermöglicht.“ – Johannes Merten
„Es wird Zeit, dass Altersgrenzen flexibler gehandhabt werden, nicht jeder ist mit 70 müde.“ – Katrin Weber
„Die Politik sollte jetzt prüfen, wo sonst noch starre Altersgrenzen den Arbeitsmarkt belasten.“ – Ahmed Khan
OZD-Analyse
Ausgangslage
a) Nebenberufliche Anwaltsnotare: Rechtsanwälte mit zusätzlicher Notarzertifizierung.
b) Bundesweit: 4646 Anwaltsnotare, 1700 Nurnotare.
c) Altersgrenze 70 Jahre eingeführt 1991 zur Chancengleichheit für jüngere Bewerber.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
a) Altersgrenze verstößt gegen Grundgesetz, da unverhältnismäßig.
b) Bewerbermangel im Anwaltsnotariat als entscheidender Faktor.
c) Übergangsregelung bis Ende Juni 2026, Neuregelung durch den Gesetzgeber erforderlich.
Folgen und Perspektiven
a) Ausschiedende Notare können sich erneut bewerben.
b) Nurnotare: Altersgrenze bleibt bestehen wegen ausreichender Bewerberzahl.
c) Gericht öffnet Möglichkeit flexibler, regionaler oder leistungsbezogener Altersgrenzen.
Prognose: Weitere Berufsgruppen mit Fachkräftemangel werden ähnliche Überprüfungen ihrer Altersgrenzen anstreben. Die Berufsfreiheit älterer Arbeitnehmer wird gestärkt, starre Altersgrenzen verlieren zunehmend an Bedeutung.
OZD-Erklärung
Wer ist ein Anwaltsnotar?
Ein Anwaltsnotar ist ein zugelassener Rechtsanwalt, der zusätzlich eine notarielle Qualifikation erworben hat. Er kann notarielle Aufgaben übernehmen, während er weiterhin als Rechtsanwalt tätig bleibt.
Was ist die Bundesnotarkammer?
Die Bundesnotarkammer ist die Vertretung der Notare in Deutschland. Sie organisiert die berufliche Zulassung, überwacht die Berufsausübung und stellt Statistiken zu haupt- und nebenberuflichen Notaren bereit.
OZD
Alle Angaben ohne Gewähr.
Titelbild: AFP.