Deutschland steht vor einer tektonischen Verschiebung des Arbeitsmarkts. Innerhalb von 15 Jahren verlieren die Unternehmen fast ein Drittel ihrer Belegschaft: 13,4 Millionen Babyboomer überschreiten bis 2039 das Rentenalter von 67 Jahren. Die Jahrgänge zwischen 1957 und 1968, einst Sinnbild des Wirtschaftsbooms, gehen in Scharen in den Ruhestand – und niemand ist da, um sie zahlenmäßig zu ersetzen.
Schon jetzt sind die Babyboomer das Rückgrat des Arbeitsmarktes: 5,6 Millionen Erwerbstätige im Alter von 55 bis 59 Jahren und 4,4 Millionen zwischen 60 und 64 Jahren halten das System am Laufen. Zusammen über 10 Millionen Menschen – mehr als die gesamten jüngeren Altersgruppen.
Die Politik diskutiert, ob man die geburtenstarken Jahrgänge länger im Job halten oder sogar nach Eintritt in die Rente zurückholen soll. Zwar stieg die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in den letzten zehn Jahren von 65 auf 75 Prozent. Doch viele scheiden vorzeitig aus – sei es aus gesundheitlichen Gründen, durch Frühverrentungsprogramme oder schlicht, weil sie genug gearbeitet haben. Die Lücke bleibt.
Kommentar
Deutschland steuert sehenden Auges in eine Arbeitsmarkt-Katastrophe. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Babyboomer einmal in Rente gehen – und doch hat die Politik nichts unternommen, um diese Lücke ernsthaft zu schließen. Weder eine moderne Zuwanderungspolitik noch echte familienfreundliche Maßnahmen wurden konsequent umgesetzt. Stattdessen herrscht der Reflex: Rentner sollen bitte einfach länger arbeiten.
Das Problem: Man kann Menschen nicht bis 70 schuften lassen, wenn sie mit 62 schon Rückenschmerzen haben. Viele Babyboomer haben Jahrzehnte in Fabriken, auf Baustellen oder in Pflegeheimen geschuftet. Ihnen jetzt vorzuhalten, sie müssten „durchhalten“, ist zynisch.
Wenn Deutschland nicht endlich die Hausaufgaben macht – gesteuerte Zuwanderung, bessere Kinderbetreuung, Aufwertung von Pflege und Handwerk – dann wird die Wirtschaft im Strudel des Fachkräftemangels versinken. Die Babyboomer gehen in Rente. Aber die Frage ist: Wer übernimmt?
Lesermeinungen
„Die Politik tut überrascht, als wäre das Babyboomer-Phänomen eine Naturkatastrophe. Dabei stand das Datum im Kalender!“ Ulrike Massen, Mönchengladbach
„Ich freue mich auf meinen Ruhestand – 45 Jahre geschuftet, jetzt sollen wir auch noch die Wirtschaft retten? Lächerlich.“ Wilhelm Kunze, Ladbergen
„Vielleicht sollten die Politiker mal selbst 40 Jahre am Fließband stehen, bevor sie uns vom Arbeiten bis 70 erzählen.“ Werner Lenzen, Garmisch
OZD-Analyse
Zahlen zur Babyboomer-Generation
a) Geboren zwischen 1957 und 1968: insgesamt 15,3 Millionen Menschen.
b) Jahrgang 1964 mit 1,36 Millionen Geburten der stärkste.
c) 12 Millionen im Westen, 3,4 Millionen in der DDR.
Arbeitsmarkt-Auswirkungen
a) Bis 2039 scheiden 13,4 Millionen Erwerbstätige altersbedingt aus.
b) Das entspricht knapp einem Drittel der heutigen Erwerbspersonen.
c) Keine jüngere Altersgruppe erreicht ähnliche Stärke: 25- bis 34-Jährige nur 9 Millionen, 35- bis 44-Jährige 9,8 Millionen.
Erwerbstätigkeit der Älteren
a) 2024: 75 % der 55- bis 64-Jährigen noch im Job.
b) 2014: nur 65 % in dieser Altersgruppe.
c) Trotz Anstieg weiterhin hohe Frühverrentung aus gesundheitlichen oder betrieblichen Gründen.
Politische Debatte
a) Ideen reichen von längerer Erwerbstätigkeit bis zur Reaktivierung im Ruhestand.
b) Gleichzeitig fehlen Konzepte für qualifizierte Zuwanderung.
c) Familienpolitik und Kinderbetreuung unzureichend, daher schwache Geburtenrate.
Gesellschaftliche Folgen
a) Rentensystem massiv belastet, da weniger Einzahler mehr Rentner finanzieren müssen.
b) Fachkräftemangel trifft besonders Pflege, Handwerk und Industrie.
c) Ohne Reformen droht eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.
Erklärungen
Babyboomer: Jahrgänge von ca. 1957 bis 1968, geprägt von hohen Geburtenraten.
Statistisches Bundesamt: Deutsche Behörde für offizielle Daten und Analysen zu Bevölkerung und Wirtschaft.
Mikrozensus: Jährliche repräsentative Haushaltsbefragung mit Millionen Teilnehmern, liefert detaillierte Arbeitsmarkt- und Sozialdaten.
Erwerbstätigenquote: Anteil der arbeitenden Bevölkerung innerhalb einer Altersgruppe.
Frühverrentung: Möglichkeit, vor dem gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand zu gehen, oft mit Abschlägen.
Fachkräftemangel: Situation, in der offene Stellen nicht besetzt werden können, weil qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.
Rentenalter 67: Gesetzlich festgelegte Altersgrenze für den Renteneintritt in Deutschland.
Zuwanderungspolitik: Regelungen und Gesetze, die bestimmen, wer und wie viele Menschen aus dem Ausland in Deutschland arbeiten dürfen.
OZD
Alle Angaben ohne Gewähr
Titelbild AFP