Flusspferde in der Eiszeit – was neue Funde über Klima und Evolution verraten
Eine kleine wissenschaftliche Sensation: Flusspferde lebten noch während der letzten Eiszeit in Deutschland. Neue Knochenanalysen zeigen, dass die Tiere im Oberrheingraben vor rund 47.000 bis 31.000 Jahren vorkamen – deutlich später, als bisher angenommen. Damit teilten sie sich die eiszeitliche Landschaft mit Mammuts und Wollnashörnern.
Ein Mythos der Eiszeitforschung bröckelt
Lange galt als gesichert, dass die wärmeliebenden Flusspferde (Hippopotamus amphibius) Mitteleuropa zu Beginn der letzten Eiszeit, also vor rund 115.000 Jahren, verlassen hatten. Doch die neuen Erkenntnisse aus Potsdam, Mannheim und dem Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie widerlegen dieses Bild. Offenbar überlebte eine kleine, isolierte Population in den wärmeren Zonen des Oberrheingrabens – einem klimatisch begünstigten Streifen zwischen Schwarzwald und Vogesen.
DNA und Radiokarbon verändern die Geschichte
Die Forscher kombinierten DNA-Sequenzierung mit Radiokarbonmessungen und bestimmten so das Alter und die genetische Verwandtschaft der Fossilien. Das Ergebnis: Die Tiere waren eng mit den heutigen afrikanischen Flusspferden verwandt und gehören biologisch zur gleichen Art. Ihr Vorkommen belegt, dass es selbst während der Eiszeit regionale Klimaoasen gab – Orte, an denen das Leben milder blieb, während weite Teile Europas gefroren.
Ein neues Bild vom Eiszeitalter
Die Studie, erschienen in der Fachzeitschrift Current Biology, stellt die bisherige Vorstellung einer gleichmäßig kalten Eiszeit infrage. „Die Eiszeit war kein durchgängig frostiges Szenario“, erklärt Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. „Sie hatte lokale Besonderheiten, die wir jetzt besser verstehen.“
Solche Erkenntnisse zeigen, wie dynamisch das Klima auch in geologisch kurzen Zeiträumen schwanken konnte. Und sie öffnen eine größere Frage: Wie flexibel war die Natur – und wie viel Anpassung steckt in scheinbar starren Arten wie dem Flusspferd?
Kommentar: Die Wärmeinseln der Vergangenheit
Die Entdeckung ist mehr als ein zoologisches Kuriosum. Sie erinnert daran, dass Klima nie absolut ist, sondern aus Übergängen besteht. Dass Flusspferde in einer „Eiszeit“ überlebten, ist kein Widerspruch, sondern ein Beweis für die Vielfalt klimatischer Mikroregionen. Für heutige Forschungen zum Klimawandel liefert das einen wertvollen Perspektivwechsel: Nicht alles Eis war gleich kalt – und nicht jede Wärme gleich rettend.
Vom Rhein bis zur Savanne – eine Linie der Kontinuität
Dass die urzeitlichen Tiere mit den modernen Flusspferden genetisch nahezu identisch sind, betont die erstaunliche Beständigkeit der Evolution. Über Zehntausende Jahre hinweg blieben Morphologie und Verhalten stabil. Der Rhein als Lebensraum mag verschwunden sein, doch das Bild bleibt: mächtige Tiere, dreieinhalb Tonnen schwer, halb im Wasser, halb an Land – Zeugen eines Europas, das vielfältiger war, als wir dachten.
OZD
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Bild: AFP