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Die Frauenquote: „Kein Aufstieg trotz Arbeit“ – Expertinnen fordern gerechtere Verteilung von Sorgearbeit

Seit zehn Jahren tritt Deutschland bei der Gleichstellung in Führungspositionen auf der Stelle. Nur 29,1 Prozent der Chefs sind Frauen – deutlich unter EU-Schnitt. Gewerkschaften und Forscherinnen sehen strukturelle Ursachen und fordern politische Konsequenzen.

Trotz steigender Erwerbsbeteiligung stagniert der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland seit Jahren. Laut dem Statistischen Bundesamt waren 2024 nur 29,1 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt – deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 35,2 Prozent. Seit 2014 habe sich dieser Wert hierzulande „praktisch nicht verändert“, so die Behörde am Montag.

Während Länder wie Schweden, Estland und Zypern in den vergangenen zehn Jahren teils deutliche Zuwächse von mehr als sieben Prozentpunkten verzeichneten, verharrt Deutschland auf niedrigem Niveau. Besonders stark ist der Frauenanteil in Schweden, Lettland und Polen – mit rund 40 Prozent weiblicher Führungskräfte. Schlechter als Deutschland schneiden nur noch Tschechien, Dänemark, Italien, Kroatien und Zypern ab.

Dabei sind Frauen in Deutschland fast ebenso häufig erwerbstätig wie Männer. Doch das spiegelt sich in den Führungsetagen nicht wider. „Allein die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt garantiert keine Chancen auf beruflichen Aufstieg“, erklärte DGB-Vize El ke Hannack. Sie forderte ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, „damit Unternehmen Benachteiligungen endlich beenden“.

Auch Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung sieht strukturelle Hindernisse: Frauen würden im Arbeitsmarkt „in ihren Karriereoptionen behindert“, weil Erwerbsarbeit kaum mit Sorgearbeit vereinbar sei. „Die geplante Abschaffung des Acht-Stunden-Tages und Steuerprivilegien für Überstunden verschärfen das Problem nur“, warnte sie.

Zudem sei die Gleichstellungsdebatte zunehmend von parteipolitischen Kulturkämpfen überlagert. „Wenn Gleichstellung permanent zwischen AfD und konservativen Kräften zerreibt, kommen wir keinen Schritt weiter“, so Kohlrausch.

OZD

OZD-Kommentar:
Deutschland ist im Jahr 2025 wirtschaftlich stark – aber gesellschaftlich im Stillstand. Zehn Jahre ohne Fortschritt beim Frauenanteil in Führungspositionen sind kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Bequemlichkeit. Während andere EU-Länder Gleichstellung zur Chefsache machen, diskutiert Deutschland über Arbeitszeitlockerungen und Steuerprivilegien für Überstunden. Solange Frauen die doppelte Last aus Beruf und Sorgearbeit tragen, bleiben sie von Führungsjobs ausgeschlossen. Die Statistik ist kein Zufall, sondern ein Spiegel der Strukturen – und der Mutlosigkeit.



Mini-Infobox:
– Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland: 29,1 %
– EU-Durchschnitt: 35,2 %
– Stagnation seit 2014
– Spitzenreiter: Schweden, Lettland, Polen (rund 40 %)
– Forderung: Gleichstellungsgesetz für Privatwirtschaft

OZD-Analyse

Zehn Jahre Stillstand
– Seit 2014 stagniert der Frauenanteil in deutschen Chefetagen.
– EU-weit zeigt sich dagegen ein klarer Aufwärtstrend.
– Besonders skandinavische Staaten setzen Maßstäbe durch konsequente Gleichstellungspolitik.

Strukturelle Ursachen
a) Ungerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit.
– Frauen übernehmen weiterhin den Großteil familiärer Verantwortung.
– Fehlende Kinderbetreuung und starre Arbeitszeiten verschärfen die Ungleichheit.
b) Fehlende gesetzliche Vorgaben in der Privatwirtschaft.
– Quote gilt nur für Aufsichtsräte, nicht für Führungspositionen im Mittelbau.

Politische Verantwortung und Kulturkampf
– Gleichstellungspolitik wird zunehmend ideologisch aufgeladen.
– Gewerkschaften und Forscherinnen warnen vor Rückschritten.
– Die Bundesregierung steht unter Druck, echte Gleichstellung statt Symbolpolitik zu liefern.



Wer ist El ke Hannack?
El ke Hannack, geboren 1961, ist stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die Lehrerin und langjährige Gewerkschafterin setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit, faire Löhne und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein.

Was ist die Hans-Böckler-Stiftung?
Die Hans-Böckler-Stiftung ist das Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB. Sie untersucht soziale, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen mit Fokus auf Arbeitnehmerrechte, Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.

OZD-Extras
Bonus-Info: Schweden hat 2023 eine gesetzliche Pflicht zur paritätischen Besetzung öffentlicher Führungspositionen eingeführt – mit dem Ziel, bis 2030 Geschlechtergleichheit zu erreichen.