In Belgien hat am Montag ein Verfahren begonnen, das die internationale Energiewirtschaft erschüttern könnte. Der Rinderbauer Hugues Falys aus der Provinz Hennegau sowie drei große Organisationen werfen dem französischen Öl- und Gaskonzern Total Energies vor, durch seine fossile Geschäftstätigkeit maßgeblich zum Klimawandel beizutragen – und damit für die massiven Schäden in der Landwirtschaft mitverantwortlich zu sein. Total weist die Klage bereits im Vorfeld als „nicht legitim“ zurück.
Falys beschreibt einen Alltag, der von Extremwetter gezeichnet ist: Ein verheerendes Unwetter zerstörte seine Erdbeer- und Kartoffelpflanzen, drei Dürreperioden reduzierten die Futtermenge so drastisch, dass er seinen Viehbestand verkleinern musste. „Es war notwendig, die Herde zu reduzieren – das brachte enorme Einkommenseinbußen“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Trotz allem zeigt er sich kämpferisch: „Wir haben zahlreiche Argumente, um die Justiz dazu zu bringen, Total Energies in die Knie zu zwingen.“
Unterstützt wird der Bauer von Greenpeace, der Ligue des Droits Humains und der Organisation Fian. Sie fordern nicht nur Schadensersatz, sondern einen grundlegenden Kurswechsel: Total solle den Ausstieg aus Öl und Gas einleiten und sich vollständig erneuerbaren Energien zuwenden. Die LDH begründet den Fokus auf den Konzern damit, dass Total in Belgien Marktführer für Raffinerie und Vertrieb von Erdölprodukten sei.
Total kontert scharf. Ein einzelnes Unternehmen könne nicht für ein Jahrhundert globaler Energiepolitik verantwortlich gemacht werden. „Es macht keinen Sinn, in diesem Zusammenhang eine individuelle Verantwortung zuzuweisen“, teilte der Konzern mit. Kommende Woche will die Verteidigung darlegen, dass weder schuldhaftes Verhalten noch ein direkter Zusammenhang zwischen den Aktivitäten des Konzerns und den Schäden des Landwirts bestehe.
Das Gericht im westbelgischen Tournai hat vier Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird erst im kommenden Jahr erwartet – doch allein der Prozess zeigt, wie sehr der globale Kampf um Klimagerechtigkeit inzwischen in die Gerichtssäle Europas vorgedrungen ist.
OZD
OZD-Kommentar
Dieser Prozess könnte zu einem Wendepunkt werden – und gleichzeitig offenbart er die erbarmungswürdige Langsamkeit, mit der die Welt auf den Klimawandel reagiert. Ein einzelner Bauer muss vor Gericht ziehen, damit ein globaler Energiekonzern sich überhaupt erklären muss. Das ist ein Armutszeugnis für die Politik.
Der Fall entlarvt die Doppelstrategie der fossilen Industrie: Jahrzehntelang wurde der Profit aus Öl und Gas gefeiert, während die Folgen auf Bauern, Küstengemeinden oder Entwicklungsländer abgewälzt wurden. Total versucht, sich hinter der Komplexität der Weltwirtschaft zu verstecken – doch die Klimakrise besteht aus realen Schäden, realen Existenzen und realen Verantwortlichkeiten.
Der Prozess in Tournai ist mehr als ein juristischer Streit. Er ist ein Symptom einer globalen Gerechtigkeitskrise. Und selbst wenn Falys nicht vollständig gewinnt: Die fossilen Megakonzerne wissen längst, dass diese Fälle mehr werden. Die Zeit, in der sie unantastbar waren, geht zu Ende.
Mini-Infobox
– Landwirt Falys klagt Total Energies wegen Klimaschäden an
– Unterstützt von Greenpeace, LDH und Fian
– Vorwürfe: Extremwetter zerstörte Ernten, führte zu Viehabbau
– Total weist Verantwortung strikt zurück
– Urteil erst 2026 erwartet
OZD-Analyse
Klimahaftung als neuer juristischer Schauplatz
– immer mehr Bürger und Organisationen ziehen fossile Konzerne vor Gericht –
– diese Verfahren definieren Verantwortlichkeiten im Klimasystem neu –
– Gerichte werden zunehmend zu politischen Akteuren –
– mögliche Präzedenzfälle könnten Milliardenkosten auslösen.
Die Argumentationslinien beider Seiten
– Kläger: fossile Industrie trägt historische Hauptverantwortung –
– Total: globaler Energiemarkt sei komplex, Verantwortung sei geteilt –
– Nachweis der direkten Kausalität juristisch schwierig –
– politische, wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Faktoren greifen ineinander.
Signalwirkung für Europa und die Energiebranche
– ein Urteil gegen Total könnte europaweit Klagewellen auslösen –
– Energiekonzerne müssten Risikomodelle neu bewerten –
– Investoren beobachten solche Fälle mit wachsender Nervosität –
– Klimarisiken werden zunehmend als Haftungsrisiken eingestuft.
Erklärungen
Wer ist Hugues Falys?
Hugues Falys ist ein belgischer Rinderbauer aus der Provinz Hennegau. Er wurde durch Ernteverluste infolge von Extremwetterereignissen zu einem der ersten Landwirte Europas, die einen fossilen Energiekonzern wegen Klimaschäden verklagen.
Was ist Total Energies?
Total Energies ist ein französischer Energiekonzern und einer der weltweit größten Anbieter von Öl- und Gasprodukten. Das Unternehmen investiert zunehmend in erneuerbare Energien, bleibt jedoch stark vom fossilen Geschäft abhängig.
Was bedeutet Klimahaftung?
Klimahaftung beschreibt juristische Bemühungen, Unternehmen oder Staaten für Schäden verantwortlich zu machen, die durch den menschengemachten Klimawandel entstehen. Weltweit nimmt die Zahl solcher Klagen rasant zu.
OZD-Extras
Brisant: In Frankreich läuft parallel ein Verfahren, in dem Total beschuldigt wird, seine Klimarisiken jahrelang verharmlost zu haben – eine mögliche Blaupause für weitere Klagen in Europa.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.