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Der Rothirsch ist Wildtier des Jahres - Deutschlands „König des Offenlandes“

Der Rothirsch ist zum Wildtier des Jahres 2026 gewählt worden – ein Sieg mit bitterem Beigeschmack. Fachleute warnen vor genetischer Verarmung und bedrohten Lebensräumen. Jetzt sollen Grünbrücken und neue Schutzräume die Art retten.

Der Rothirsch, oft als „König des Offenlandes“ bezeichnet, ist zum Wildtier des Jahres 2026 gekürt worden. In der Abstimmung der Deutschen Wildtierstiftung setzte er sich gegen Hermelin und Goldschakal durch – und rückt damit ins Zentrum einer immer dringlicher werdenden Debatte über bedrohte Wildtierpopulationen in Deutschland. Die Stiftung warnte am Mittwoch eindringlich vor einer „Verinselung der Bestände“, die zu einer schwindenden genetischen Vielfalt und langfristig sogar zu einem Aussterbeprozess führen könne.

Die Rothirsch-Population umfasst hierzulande rund 220.000 Tiere. Anders als oft angenommen, bezieht sich der Name auf beide Geschlechter: Hirschkühe, Kälber und Jungtiere leben in Rudeln zusammen, ebenso wie die männlichen Tiere außerhalb der Brunftzeit. In ihrer natürlichen Lebensweise bevorzugen Rothirsche halboffene Landschaften – doch der Mensch drängt sie zunehmend in dichte Wälder zurück, wo sie täglich bis zu 20 Kilogramm Pflanzen fressen und damit den Lebensraum spürbar verändern.

Während Konflikte mit der Forstwirtschaft anhalten, gibt es auch positive Effekte ihres Einflusses: Rothirsche schaffen offene Stellen im Wald, die sonnenliebenden Pflanzen und Insekten zugutekommen. Ihr jährlich abgeworfenes Geweih dient Eichhörnchen und anderen Nagetieren als Calciumquelle. Zudem tragen vor allem junge Tiere durch die Verbreitung von Pflanzensamen über große Distanzen zum Erhalt wertvoller Lebensräume bei.

Doch die Wanderwege der Tiere enden oft abrupt an Straßen, Gleisen oder Kanälen. Kritisch ist auch der Umstand, dass viele Bundesländer die Artverbreitung gesetzlich stark einschränken: Baden-Württemberg gestattet dem Rothirsch laut Stiftung nur die Besiedlung von vier Prozent der Landesfläche – auf den übrigen Gebieten müssen Jäger die Tiere nahezu vollständig abschießen.

Um die genetische Vielfalt der Art zu sichern, fordert die Wildtierstiftung deshalb verbindliche Wildtierkorridore, mehr Grünbrücken und ein Umdenken bei jagdlichen Vorgaben. „Lebensräume müssen wieder stärker vernetzt werden“, forderte Stiftungsexperte Andreas Kinser. Kleine, neu entstehende Populationen könnten dabei als Trittsteine zwischen isolierten Gebieten dienen. Nur wenn der Rothirsch mehr Raum erhalte, könne seine Zukunft in Deutschland langfristig gesichert werden.
OZD


OZD-Kommentar

Der Rothirsch wird gefeiert – doch eigentlich sollte dieser Titel schmerzen. Denn hinter der Wahl zum Wildtier des Jahres 2026 steckt ein Alarmruf, den die Politik seit Jahren ignoriert. Deutschland hält seine größten Wildtiere in Inseln gefangen, zerschneidet ihre Wanderwege mit Asphalt und Schienen und zwingt sie durch absurde Jagdverordnungen in die ökologische Sackgasse.

Dass Baden-Württemberg dem Rothirsch faktisch nur vier Prozent des Landes zugesteht, ist kein Naturschutz – es ist Verwaltung gegen die Natur. Und es zeigt, dass Deutschland zwar gerne von Biodiversität spricht, aber beim praktischen Schutz der Artenwelt im Schneckentempo läuft. Der Rothirsch ist ein Symptom eines viel größeren Problems: Wir zerstören die Verbindungen zwischen Lebensräumen, und damit die Zukunft ganzer Ökosysteme.

Grünbrücken, Wildtierkorridore, echte Schutzflächen – all das müsste längst Standard sein. Stattdessen reden wir über bürokratische Grenzen, während die genetische Vielfalt schrumpft. Wenn Deutschland seine majestätischste Tierart nicht einmal schützen kann, wie ernst ist es der Politik dann mit Natur- und Klimaschutz? Die Wahl des Rothirsches ist ein Weckruf. Hoffentlich hört ihn diesmal jemand.



Mini-Infobox
– Rothirsch ist Wildtier des Jahres 2026
– Rund 220.000 Tiere leben in Deutschland
– Starke Verinselung der Bestände
– Nur 4 % der Fläche in Baden-Württemberg für Rothirsche zugelassen
– Grünbrücken sollen Wanderwege sichern


OZD-Analyse

Die Bedeutung der Wahl
a) Der Titel rückt eine unterschätzte Art in den Fokus
b) Die Wahl macht genetische Risiken sichtbar
c) Naturschutzgruppen wollen politische Aufmerksamkeit erzwingen

Hauptprobleme für die Rothirsch-Population
a) Zerschneidung der Lebensräume durch Verkehrsinfrastruktur
b) Gesetzlich verordnete Schießgebote in mehreren Bundesländern
c) Blockierter genetischer Austausch zwischen voneinander isolierten Räumen

Was für die Zukunft notwendig ist
a) Bundesweite Wildtierkorridore
b) Ausbau von Grünbrücken und Durchlässen
c) Abschaffung restriktiver Verbreitungsgrenzen



Erklärungen

Was ist die Deutsche Wildtierstiftung?
Die Deutsche Wildtierstiftung ist eine gemeinnützige Organisation, die sich seit 1992 für den Schutz wildlebender Tiere in Deutschland einsetzt. Sie fördert Forschungsprojekte, informiert Politik und Öffentlichkeit und wählt jedes Jahr das „Wildtier des Jahres“, um bedrohte Arten ins Bewusstsein zu rücken.


OZD-Extras
Fun Fact: Das Geweih eines ausgewachsenen Rothirsches kann bis zu 10 Kilogramm wiegen – und wächst jedes Jahr komplett neu nach.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.