Nach zähen Verhandlungen haben sich Vertreter des Europaparlaments und der 27 EU-Staaten in der Nacht zum Mittwoch auf ein neues Klimaziel für das Jahr 2040 geeinigt. Der Treibhausgas-Ausstoß soll um 90 Prozent gegenüber 1990 sinken – ein Ziel, das allerdings zahlreiche Schlupflöcher enthält. Denn die Mitgliedstaaten dürfen bis zu fünf Prozentpunkte mit CO₂-Zertifikaten aus Drittstaaten decken, womit der politische Kompromiss faktisch eher einem 85-Prozent-Ziel entspricht.
Die Parlamentarier setzten jedoch Grenzen: Ausländische Zertifikate dürfen keine Projekte finanzieren, die den „strategischen Interessen“ der EU entgegenstehen. CDU-Europaabgeordneter Peter Liese begrüßte diese Vorgabe und verwies auf frühere Fehlentwicklungen wie Klimaprojekte in China, die in Europa umstritten waren. Künftige Gelder sollten stärker in Partnerländer wie Moldau oder die Ukraine fließen.
Um den Fortschritt zu kontrollieren, verpflichten die Unterhändler die EU-Kommission zu einer zweijährlichen Überprüfung der Klimapfade. Dabei könnte Brüssel sogar weitere fünf Prozentpunkte anrechenbaren Zertifikaten aus dem Ausland ins Spiel bringen – ein Punkt, der bei Umweltorganisationen Alarm auslöste.
Bundesumweltminister Carsten Schneider sprach dennoch von einem „Mut machenden“ Kompromiss. Europa sei auf einem guten Weg, gemeinsame Klimapolitik trotz politischer Spannungen aufrechtzuerhalten. Doch Kritiker warnen vor Verwässerung. Die österreichische Grünen-Abgeordnete Lena Schilling mahnt eine „Kurskorrektur“ an, da die 90-Prozent-Reduktion ohne entschlossene Schritte kaum zu erreichen sei.
Zugleich beschlossen die Verhandler, das geplante CO₂-Preissystem ETS2 für Gebäude und Straßenverkehr um ein Jahr auf 2028 zu verschieben. Vor allem osteuropäische Länder hatten einen Aufschub gefordert, um Bürger nicht mit höheren Heiz- und Spritkosten zu überfordern.
Deutschland ist von dem Schritt weniger betroffen, da es bereits ein eigenes Preissystem für fossile Energien eingeführt hat. Die EU-Kommission hatte zudem vorgeschlagen, bei extrem steigenden CO₂-Preisen zusätzliche Zertifikate auszuschütten – eine Maßnahme, die kurzfristig Preisdruck abbauen, langfristig aber den Klimaschutz abschwächen könnte.
Bevor das neue Klimaziel endgültig gilt, müssen Parlament und Ministerrat die Einigung noch formell bestätigen. Damit rückt Europa ein Stück näher an seine langfristige Vision: Ab 2050 sollen nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden, wie natürliche und technische Speicher aufnehmen können.
OZD
OZD-Kommentar – „Ein Klimaziel mit eingebauter Bremse“Europa feiert sich für ein 90-Prozent-Ziel – doch wer genauer hinschaut, sieht einen Kompromiss, der vor allem eines zeigt: Angst vor der eigenen Courage. Die fünf Prozentpunkte, die sich die Staaten aus dem Ausland „dazukaufen“ dürfen, sind politisch bequem, aber klimapolitisch riskant. Wenn die EU wirklich glaubwürdig sein will, darf sie sich nicht hinter Zertifikaten verstecken, die fernab europäischer Realitäten entstehen. Der Aufschub des CO₂-Preises für Verkehr und Heizen wirkt wie ein weiterer Kniefall vor kurzfristigen Stimmungen, während die Uhr bis 2040 gnadenlos tickt. Die Frage ist nicht, ob Europa Ziele festlegen kann, sondern ob es sie auch zu erfüllen wagt – ohne sich herauszukaufen.

Neues EU-Klimaziel: –90 % Emissionen bis 2040
Effektiver Zielwert durch Zertifikate: ca. –85 %
ETS2 für Verkehr & Gebäude verschoben auf 2028
Zweijährliche Überprüfung durch die EU-Kommission
Endziel 2050: Klimaneutralität in Europa
OZD-Analyse1. Der politische Kompromiss
a) Das 90-Prozent-Ziel klingt hart, wird aber durch ausländische Zertifikate aufgeweicht. –
b) Die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten erforderte Zugeständnisse an skeptische Regierungen. –
c) Kritiker warnen, dass Europa damit seinem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. –
2. Ökonomische und soziale Konfliktlinien
a) Osteuropäische Länder forderten den Aufschub des CO₂-Preises, um soziale Spannungen zu vermeiden. –
b) Deutschland bleibt durch sein bestehendes Preissystem vergleichsweise stabil. –
c) Ein flexibler Zertifikatemarkt kann Preise dämpfen – aber auch Emissionsreduktionen verwässern. –
3. Klimaperspektive bis 2050
a) Das 2040-Ziel ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität. –
b) Wissenschaftler warnen, dass die EU nach 2030 deutlich schneller reduzieren muss. –
c) Konflikte um Verkehr, Industrie und Energiepolitik werden in den kommenden Jahren weiter eskalieren. –

Was ist ETS2?
Ein geplanter CO₂-Preis für Heizungen und Straßenverkehr, der fossile
Energien verteuern und klimafreundliche Alternativen fördern soll. ETS2
ergänzt den bestehenden Emissionshandel für Industrie und
Energieerzeugung.
Was ist ein CO₂-Zertifikat?
Ein handelbares Emissionsrecht: Staaten oder Unternehmen können damit
Treibhausgase kompensieren, indem sie Klimaschutzprojekte in anderen
Ländern finanzieren.
Fun Fact: Die EU verhandelt ihr 2040-Ziel länger, als manche Staaten brauchen, um einen ganzen Energie-Sektor umzubauen – ein Beweis dafür, wie kompliziert Klimapolitik in 27 Sprachen wirklich ist.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.