Der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke, hat die Bundesregierung aufgefordert, im kommenden Jahr zügig Klarheit über die Grundzüge der angekündigten Sozialreformen zu schaffen. Das sei nicht nur mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen wichtig, sondern auch für den Koalitionspartner SPD, sagte Radtke der Nachrichtenagentur AFP. Spätestens vor der Sommerpause müssten erste konkrete Ergebnisse vorliegen.
Die Phase intensiver Debatten und Beratungen in Gremien wie der Sozialstaats- oder Rentenkommission müsse zu klaren politischen Entscheidungen führen, betonte der CDA-Chef. Es gehe im kommenden Jahr darum, Empfehlungen nicht nur auszuwerten, sondern in verbindliche politische Maßnahmen zu überführen. Gleichzeitig warnte Radtke davor, bei den Bürgerinnen und Bürgern zu hohe Erwartungen zu wecken. Versprechen müssten realistisch sein und am Ende auch eingelöst werden können.
Als Negativbeispiel nannte Radtke die angekündigte, letztlich aber nicht umgesetzte Senkung der Stromsteuer für alle. Solche Ankündigungen führten zu Enttäuschungen und überdeckten reale Erfolge der Koalition, etwa die Erhöhung der Pendler- und Ehrenamtspauschale oder die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie.
Unterstützung für eine grundlegende Reform kommt auch von Peer Steinbrück. Der frühere Bundesfinanzminister und NRW-Ministerpräsident hält eine umfassende Neuordnung der sozialen Sicherungssysteme für dringend erforderlich. Er verwies auf die Vielzahl steuerfinanzierter Sozialleistungen und sprach sich für eine stärkere Pauschalierung sowie eine digitale Bündelung der Leistungen aus. Der Regierung attestierte Steinbrück eine mangelnde Konfliktfähigkeit und warnte vor weiterem Vertrauensverlust in die staatliche Handlungsfähigkeit.
Im kommenden Jahr stehen in fünf Bundesländern Landtagswahlen an, darunter Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. In einigen Ländern drohen der Koalition laut Umfragen empfindliche Verluste – insbesondere angesichts des Erstarkens der AfD. OZD / ©AFP.
OZD-Kommentar – Reformen dulden keinen Aufschub
Die Mahnung aus den eigenen Reihen kommt zur Unzeit – und doch zur richtigen Stunde. Sozialreformen sind politisch heikel, aber unvermeidlich. Wer sie weiter vertagt, riskiert nicht nur Wahlniederlagen, sondern ein tieferes Problem: den Verlust des Vertrauens in die Gestaltungsfähigkeit des Staates. Klarheit, Ehrlichkeit und Tempo sind jetzt gefragt. Halbversprechen und Verschiebungen wären Gift in einem ohnehin angespannten politischen Klima.

Mini-Infobox
Forderung: schnelle Klarheit bei Sozialreformen
Zeitpunkt: konkrete Ergebnisse vor der Sommerpause
Kritik: schlechtes Erwartungsmanagement
Hintergrund: mehrere Landtagswahlen 2026
OZD-AnalysePolitischer Druck
a) Wachsende Erwartungen vor Landtagswahlen
b) Reformankündigungen ohne klare Umsetzung
c) Interne Mahnungen aus der Union
Inhaltliche Baustellen
a) Vielzahl sozialer Einzelleistungen
b) Reformbedarf bei Rente und Sozialstaat
c) Vorschläge zu Pauschalierung und Digitalisierung
Demokratische Dimension
a) Vertrauensverlust in staatliche Handlungsfähigkeit
b) Gefahr wachsender Politikverdrossenheit
c) Reformen als Stabilitätsfaktor für Demokratie

Was ist die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA)?
Die CDA ist der Sozialflügel der CDU. Sie vertritt arbeitnehmernahe
Positionen innerhalb der Partei und setzt sich für soziale Gerechtigkeit
und einen leistungsfähigen Sozialstaat ein.
Wer ist Peer Steinbrück?
Peer Steinbrück war Bundesfinanzminister und Ministerpräsident von
Nordrhein-Westfalen. Er gilt als profiliert in Finanz- und Sozialpolitik
und äußert sich regelmäßig kritisch zu Reformstau und
Regierungsführung.

Sozialreformen gelten als eines der konfliktträchtigsten Politikfelder – gleichzeitig entscheiden sie maßgeblich über das Vertrauen der Bürger in den Staat.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.