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Macht, Missbrauch und Millionäre: Der Combs-Prozess zeigt ein toxisches System (Kommentar)

Sexualisierte Gewalt ist kein „kompliziertes Liebesdrama“. Der Fall Sean Combs ist ein Lehrstück über Machtmissbrauch – und die gefährliche Verharmlosung durch Geld und Status.

"Hier geht es um Geld." Mit diesem Satz versuchte Sean Combs’ Verteidiger im Schlussplädoyer, die Stimmen der mutmaßlichen Opfer zu diskreditieren – darunter Sängerin Cassie Ventura und weitere Frauen und Männer. Doch was hier tatsächlich auf dem Spiel steht, ist etwas weitaus Größeres als Geld: Es geht um die Würde, Sicherheit und Glaubwürdigkeit von Betroffenen sexualisierter Gewalt – und um die Frage, ob Macht über Recht steht.

Dass die Verteidigung versucht, die Klägerinnen und Zeugen als geldgierige Ex-Partnerinnen darzustellen, folgt einem altbekannten Muster: Täter mit Reichtum, Einfluss und Ruhm positionieren sich als Opfer eines Systems, das angeblich gegen sie arbeitet. Dabei wird übersehen – oder bewusst ignoriert –, dass diese Personen jahrzehntelang von genau diesem System profitiert haben. Combs, ein Selfmade-Millionär mit Netzwerken in Musik, Medien und Politik, konnte sich offenbar ein Umfeld aufbauen, in dem Abhängigkeit, Schweigen und Gewalt nebeneinander existierten.

Ein Video, das im Prozess gezeigt wurde, zeigt den körperlichen Angriff auf Cassie Ventura. Die Verteidigung nennt es „schrecklich“, aber betont zugleich, dass es sich nicht um Zwangsprostitution handle. Als ob körperliche Gewalt gegen Frauen irgendwie relativiert werden könnte. Als ob eine Grenze zwischen Misshandlung und Missbrauch erst dann überschritten sei, wenn sie einem juristischen Etikett genügt. Diese Haltung ist gefährlich – und sie schützt Täter mehr als Opfer.

Auch der Vorwurf, Betroffene hätten sich als „Erwachsene frei entschieden“, ist zynisch angesichts eines Systems, das auf Angst, Kontrolle und Abhängigkeit basiert. Was wie „Konsens“ aussieht, ist oft das Resultat jahrelanger Manipulation – besonders, wenn eine Seite Macht, Geld und Status besitzt und die andere schweigt, um zu überleben.

Egal, wie die Geschworenen entscheiden: Der Combs-Prozess offenbart ein Klima des Missbrauchs in der Unterhaltungsindustrie, das nicht länger übersehen werden kann. Es zeigt, wie systematisch Schutzmechanismen versagen – wenn Täter reich genug sind, sich Loyalität zu erkaufen, Opfer zu isolieren und Kritik zu entwerten.

Der Satz „Hier geht es um Geld“ ist nicht nur falsch – er ist eine Beleidigung all jener, die den Mut aufbringen, Missbrauch öffentlich zu machen. Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Gewinn. Und es geht darum, endlich hinzusehen, wo viele jahrelang weggeschaut haben.

Analyse:
Der Fall Combs steht exemplarisch für die systemischen Strukturen sexualisierter Gewalt in der Unterhaltungsbranche. Dass erst durch ein Überwachungsvideo und eine Welle von weiteren Klagen die Öffentlichkeit aufgewacht ist, zeigt, wie tief Verdrängung und Schweigen sitzen. Die Verteidigung mit Reichtum und „komplizierten Liebesgeschichten“ verharmlost ein Muster, das auch andernorts existiert: Männer mit Macht, die Frauen kontrollieren – psychisch, physisch, strukturell. Die Aufgabe von Justiz, Medien und Gesellschaft ist klar: Solche Machtstrukturen aufzudecken, zu benennen und zu verurteilen. Alles andere ist Mittäterschaft.

OZD


Alle Angaben ohne Gewähr.

Bild: AFP