Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen
QR-Code zu www.online-zeitung-deutschland.de

"Putins Marionetten": Scharfe Kritik an Misstrauensantrag gegen von der Leyen

Ein Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sorgt für Empörung. EU-Politiker warnen vor einer rechten Kampagne gegen Europa – und sehen Putins Einfluss am Werk.

Der angekündigte Misstrauensantrag gegen Ursula von der Leyen entfacht im Europäischen Parlament eine hitzige Debatte. Spitzenpolitiker mehrerer Parteien warfen den Initiatoren am Donnerstag vor, die Europäische Union gezielt destabilisieren zu wollen. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, bezeichnete die Unterstützer des Antrags als „Marionetten“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch Vertreter der Sozialdemokraten, Grünen und Linken übten scharfe Kritik – teils jedoch auch an der EU-Kommission selbst.

Hintergrund des Antrags ist ein Vorstoß des rechtsradikalen rumänischen Abgeordneten Gheorghe Piperea aus der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Unterstützt wird er von mindestens 72 Abgeordneten – die notwendige Schwelle zur parlamentarischen Zulassung. Die Abstimmung ist für Donnerstag kommender Woche in Straßburg angesetzt, die Debatte beginnt bereits am Montag.

Auslöser des Antrags sind unter anderem mutmaßlich intransparente Kommunikation von der Leyens mit dem Pfizer-Konzern während der Corona-Pandemie. Damals hatte die Kommission unter Hochdruck Impfstoffe beschafft – vieles davon hinter verschlossenen Türen. Kritiker fordern seitdem eine vollständige Offenlegung der damaligen Entscheidungswege.

Trotz dieser Debatte sehen viele Abgeordnete in dem Antrag weniger einen legitimen Kontrollversuch als eine gezielte Attacke von rechts. „Putins Marionetten im Europäischen Parlament versuchen, die Einheit Europas zu untergraben“, sagte EVP-Chef Weber. Auch der SPD-Europaabgeordnete René Repasi sprach von einer „Inszenierung des rechten Lagers“, die nichts mit echter parlamentarischer Kontrolle zu tun habe.

Doch nicht nur die rechten Kräfte stehen in der Kritik: Repasi nutzte den Moment, um auf die Zusammenarbeit von Webers EVP mit nationalistischen Kräften hinzuweisen. Der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Terry Reintke zufolge geht es den Antragstellern „nicht um Transparenz, sondern um Chaos“. Auch Martin Schirdewan von der Linken erklärte, seine Fraktion werde „prinzipiell keine rechten Anträge unterstützen“, wenngleich die EU-Kommission einen „Denkzettel“ verdient habe.

Die AfD wiederum begrüßte den Antrag ausdrücklich. EU-Abgeordneter Petr Bystron bezeichnete die Abwahl von der Leyens als „längst überfällig“ und kündigte die volle Unterstützung seiner Partei an.

Von der Leyen selbst äußerte sich bislang nicht, wird aber zur Plenarsitzung in Straßburg erwartet. Ein tatsächlicher Sturz der Kommission gilt als unwahrscheinlich – ein Erfolg des Misstrauensantrags erfordert eine Zweidrittelmehrheit. Noch nie in der Geschichte der EU wurde eine Kommission auf diesem Weg abgesetzt. 1999 trat die Santer-Kommission allerdings wegen Korruptionsvorwürfen vor einem drohenden Misstrauensvotum zurück.

OZD


OZD-Kommentar
Wer gegen Ursula von der Leyen stimmt, stimmt nicht gegen Brüssel – sondern gegen Europa. Der Misstrauensantrag ist kein konstruktiver Beitrag zur Kontrolle demokratischer Institutionen, sondern ein kalkulierter Angriff aus dem rechten Lager. Die Initiatoren spekulieren auf maximale Schlagzeilen und minimale Verantwortung. Dass eine breite Front der demokratischen Parteien diesen Angriff scharf verurteilt, ist deshalb nicht nur folgerichtig – sondern überlebenswichtig für die Glaubwürdigkeit der europäischen Idee. Der Vorwurf, die EU handle intransparent, mag in Einzelfällen berechtigt sein – doch wer ihn mit dem Wunsch verbindet, die Kommission zu stürzen, spielt jenen Kräften in die Hände, die Europa spalten wollen. Dass dieser Antrag am Ende scheitert, ist wahrscheinlich. Dass er politisch gefährlich ist, steht außer Frage.


OZD-Analyse

1. Die Hintergründe des Antrags: Rechte Provokation statt parlamentarischer Kontrolle
– a) Der Antrag stammt aus der EKR-Fraktion, genauer: vom rumänischen Abgeordneten Piperea.
– b) Er wird von radikalen Rechten, darunter der AfD, Fratelli d’Italia und Zemmours Partei, unterstützt.
– c) Die Argumentation beruht auf umstrittener Kommunikation zwischen von der Leyen und Pfizer während der Pandemie.

2. Die politische Reaktion: Einigkeit gegen Rechts, aber auch Selbstkritik
– a) EVP, SPD, Grüne und Linke lehnen den Antrag ab – mit unterschiedlichen Akzenten.
– b) SPD und Grüne werfen der EVP eine unklare Abgrenzung gegenüber Rechtsaußen vor.
– c) Die Linke kritisiert inhaltlich die Kommission, lehnt aber die Methode ab.

3. Die Symbolik: Putins Schatten über Brüssel
– a) Manfred Weber spricht von „Putins Marionetten“ – eine Eskalation der Rhetorik.
– b) Der Vorwurf: Russland wolle die EU schwächen, indem es ihre Institutionen von innen attackiert.
– c) Die AfD nutzt das Momentum, um sich als EU-Gegner zu profilieren.

4. Das institutionelle Risiko: Politischer Flurschaden trotz sicherer Abstimmung
– a) Das Misstrauensvotum wird aller Voraussicht nach scheitern – es braucht eine Zweidrittelmehrheit.
– b) Dennoch beschädigt die Debatte die Autorität der Kommission und lenkt vom politischen Tagesgeschäft ab.
– c) Solche Anträge stärken die öffentliche Wahrnehmung einer „gespaltenen EU“.


Wer ist Ursula von der Leyen?
Ursula von der Leyen ist seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Zuvor war sie unter anderem Bundesverteidigungsministerin in Deutschland. Als erste Frau an der Spitze der Kommission verantwortet sie zentrale politische Projekte wie den Green Deal, die Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie sowie die Reaktion der EU auf den Ukraine-Krieg. Sie gilt als pragmatische Konservative mit starkem transatlantischen Profil und wird derzeit für eine zweite Amtszeit gehandelt.

Was ist ein Misstrauensantrag im EU-Parlament?
Ein Misstrauensantrag gegen die EU-Kommission ist ein parlamentarisches Mittel zur Kontrolle der Exekutive. Damit eine Kommission abgesetzt wird, bedarf es der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments. In der Geschichte der EU wurde noch nie ein solcher Antrag erfolgreich verabschiedet. Der letzte ernste Versuch 1999 führte zum Rücktritt der Santer-Kommission – allerdings freiwillig.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.


ANZEIGE