SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hat nach der gescheiterten Wahl dreier Verfassungsrichter im Bundestag klare Worte gefunden und an der Nominierung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf festgehalten. „Für mich ist klar: Wir halten an unseren Kandidatinnen fest“, erklärte Miersch am Freitag. „Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“
Die geplante Abstimmung über drei Richterposten am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause war in einer kurzfristigen Krise gescheitert. Die CDU/CSU-Fraktion hatte die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf gefordert – unter Verweis auf Plagiatsvorwürfe. Nach intensiven Krisengesprächen strichen Union und SPD alle drei geplanten Wahlen von der Tagesordnung. Auch die Kandidaten Günter Spinner (Union) und Ann-Katrin Kaufhold (SPD) wurden nicht gewählt.
„Der heutige Tag hätte sich nie so abspielen dürfen“, kritisierte Miersch, „gerade weil wir unsere Kandidatinnen mit der Unionsführung abgestimmt haben.“ In der Sommerpause wolle man den Vorfall aufarbeiten, um wieder zu „vertrauensvoller Regierungsarbeit“ zu finden. Die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf seien laut Miersch „haltlos“ und Teil einer „beispiellosen Schmutzkampagne“. Der Vorgang sei „brandgefährlich“ für das Vertrauen in die Demokratie.
OZD-Kommentar
Was sich im Bundestag abspielte, war weit mehr als ein politisches Missverständnis. Es war ein handfester Eklat, der das Vertrauen in die Institutionen der Republik gefährdet. Die SPD mag auf Transparenz und demokratische Prozesse pochen – doch eine parteipolitische Wagenburgmentalität hilft in dieser Lage niemandem. Wenn Plagiatsvorwürfe gegen eine Verfassungsrichterin im Raum stehen, darf der Reflex nicht sein, diese pauschal als „Schmutzkampagne“ abzutun. Genauso falsch ist es aber, wenn die Union ohne stichhaltige Belege die Kandidatin öffentlich beschädigt. Beide Seiten betreiben Machtpolitik auf dem Rücken des höchsten Gerichts. Die Folge: eine Richterwahl, die zur Systemkrise wird. Und das Vertrauen in die Gewaltenteilung – es bröckelt weiter.
Lesermeinungen
„So kann man doch keine Richterinnen wählen – entweder die Vorwürfe werden geklärt oder sie ist untragbar.“
„Die Union sabotiert bewusst – das ist parteitaktisch und gefährlich für die Demokratie.“
„Miersch hat recht: Die SPD sollte jetzt Rückgrat zeigen. Aber bitte mit Fakten, nicht mit Parolen.“
OZD-Analyse
1. Der Hintergrund der Richterwahl-Krise im Bundestag
– Geplant war die Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern vor der Sommerpause.
– Kurzfristig zog die Union ihre Zustimmung zur SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf zurück.
– Offizielle Begründung: Plagiatsvorwürfe, inoffiziell auch Ablehnung wegen ihrer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung.
2. Die Eskalation zwischen den Koalitionspartnern
a) – SPD sieht sich hintergangen, da die Kandidaten angeblich vorab abgestimmt waren.
– Miersch spricht von einer „bewussten Demontage“ demokratischer Institutionen.
b) – Union verteidigt sich: Ein Verfassungsrichter müsse „über jeden Zweifel erhaben“ sein.
– Die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf seien „nicht geklärt“.
3. Auswirkungen auf Koalition, Parlament und Verfassungsgericht
– Die Richterwahl wird voraussichtlich im Herbst nachgeholt.
– Der Vorgang beschädigt das Vertrauen in das Verfahren zur Richterwahl.
– Innerhalb der Koalition ist ein tiefes Zerwürfnis sichtbar – offene Konflikte drohen nach der Sommerpause.
Wer ist Matthias Miersch?
Matthias Miersch ist seit 2023 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der promovierte Jurist zählt zum linken Flügel seiner Partei und gilt als profilierter Umweltpolitiker. In der aktuellen Regierung tritt Miersch häufig als Vermittler und Koordinator innerhalb der Koalition auf, zeigt sich aber auch konfrontativ gegenüber CDU/CSU, wenn es um Prinzipienfragen geht – wie in der aktuellen Richterdebatte.
Was ist das Bundesverfassungsgericht?
Das Bundesverfassungsgericht mit Sitz in Karlsruhe ist das höchste deutsche Gericht. Es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes, prüft Gesetze auf Verfassungsmäßigkeit und entscheidet in Grundsatzfragen. Seine Richterinnen und Richter werden zur Hälfte vom Bundestag und zur Hälfte vom Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt. Das Verfahren soll parteiübergreifende Konsensbildung sichern – aktuell ist dieses Prinzip jedoch durch politische Polarisierung gefährdet.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.