Es ist ein Paukenschlag im europäischen Einzelhandel: Der chinesische Internetriese JD.com will den Düsseldorfer Elektronikhändler Ceconomy übernehmen – und damit die Kontrolle über die traditionsreichen Handelsketten Mediamarkt und Saturn erlangen. Eine entsprechende Investmentvereinbarung sei bereits unterzeichnet worden, teilten beide Unternehmen am Mittwochabend mit.
JD bietet 4,60 Euro pro Stammaktie – ein Aufschlag von 43 Prozent auf den durchschnittlichen Kurs der vergangenen drei Monate. Damit wird Ceconomy mit rund vier Milliarden Euro bewertet. Unterstützung kommt von den Großaktionären: Haniel, Beisheim, Freenet und Convergenta haben bereits dem Verkauf von Anteilen in Höhe von 32 Prozent zugestimmt. Convergenta, die Beteiligungsgesellschaft der Gründerfamilie Kellerhals, will jedoch einen bedeutenden Anteil von 25,4 Prozent behalten.
Trotz der Größe des Deals bemühen sich die Beteiligten, die Gemüter zu beruhigen. Ceconomy soll auch nach der Übernahme ein "unabhängiges Unternehmen" bleiben. Für drei Jahre sei eine Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvereinbarung ausgeschlossen. Ebenso sollen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen unangetastet bleiben – betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen werde es nicht geben, so JD.
Mit über 1000 Märkten in mehreren europäischen Ländern, 22,4 Milliarden Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2023/24 und 50.000 Beschäftigten ist Ceconomy ein Handelsgigant – auch im Online-Geschäft, das zuletzt fast ein Viertel des Umsatzes ausmachte. JD.com, einer der führenden E-Commerce-Konzerne Asiens, will mit der Übernahme seine Präsenz in Europa stärken und eine technologische Plattform „außerhalb Chinas“ aufbauen. Dabei sollen IT-Strukturen beider Unternehmen strikt getrennt bleiben.
Doch nicht alle sehen dem Deal gelassen entgegen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert konkrete Zusagen zur sozialen Verantwortung und massive Investitionen in stationäre Filialen. JD müsse ein Zukunftskonzept vorlegen, das nicht nur Profit, sondern auch die Menschen im Blick habe. ozd
OZD-Kommentar
Die Übernahme von Mediamarkt und Saturn durch den chinesischen Online-Riesen JD.com ist mehr als ein gewöhnlicher Firmenkauf – sie ist ein geopolitisches Signal.
Während Europa über strategische Autonomie debattiert, verkauft es seine größten Handelsmarken nach Asien. Der Deal mag formal korrekt erscheinen, doch die Frage bleibt: Dürfen Schlüsselbereiche der europäischen Infrastruktur – und dazu zählt auch der digitale Handel – kritiklos unter chinesische Kontrolle geraten? Die IT-Trennung wirkt symbolisch, aber nicht nachhaltig. Wer kontrolliert künftig, was in Europas Wohnzimmern steht? Wer entscheidet, welche Daten durch die Kassen fließen? Der Kaufpreis ist verlockend – doch die Rechnung könnten am Ende Kunden und Beschäftigte zahlen. JD will expandieren, nicht integrieren. Europas Selbstbestimmung steht auf dem Spiel – und mit ihr der Anspruch, mehr zu sein als nur ein Absatzmarkt für chinesische Interessen.
Lesermeinungen
„Ich finde es beängstigend, dass chinesische Konzerne immer mehr Einfluss auf unseren Alltag bekommen. Was kommt als Nächstes – Aldi und Lidl?“ Dirk Roll
„Wenn es den Mitarbeitenden Sicherheit und bessere digitale Infrastruktur bringt, warum nicht? Aber wir brauchen klare Kontrollmechanismen!“ ödi
„Ich arbeite seit 20 Jahren bei Saturn. Wenn JD übernimmt, hoffe ich, dass das kein schleichender Umbau auf Billigware und Personalabbau wird.“ Anonym
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OZD-Analyse
1. Der Deal im Detail:
a) JD.com übernimmt Ceconomy zu einem Aufschlag von 43 % auf den Börsenwert – ein klares Signal für strategisches Interesse.
– Insgesamt wird Ceconomy mit 4 Milliarden Euro bewertet.
– Convergenta hält weiterhin 25,4 % und wahrt damit einen Teil der deutschen Kontrolle.
b) JD garantiert für drei Jahre den Erhalt von Betriebsvereinbarungen und Standorten.
– Eine klassische „Beruhigungsklausel“, die Investoren oft geben – die langfristige Entwicklung bleibt offen.
2. Chinas Expansionsstrategie:
a) JD.com verfolgt seit Jahren einen aggressiven Expansionskurs, insbesondere in E-Commerce und Logistik.
– Die Übernahme europäischer Infrastrukturen steht dabei im Fokus.
– Mit Ceconomy erhält JD Zugang zu realen Märkten, Datenströmen und Verbraucherverhalten in der EU.
b) Die neue Plattform „außerhalb Chinas“ dient dem geopolitischen Zweck, internationale Sanktionen zu umgehen und Innovationsräume zu kontrollieren.
– Auch Cybersicherheit und wirtschaftliche Abhängigkeiten müssen neu bewertet werden.
3. Politische und gesellschaftliche Brisanz:
a) Der Widerstand gegen chinesische Einflussnahme in Europa wächst – von Technologietransfer bis TikTok.
– Eine Übernahme im sensiblen Einzelhandel könnte zu politischen Debatten führen.
– Nationale Souveränität und Datenschutz sind zentrale Themen.
b) Verdi mahnt zurecht ein tragfähiges Zukunftskonzept an – nicht nur für Beschäftigte, sondern für die Marktstruktur insgesamt.
– Bleiben Saturn und Mediamarkt Marken europäischer Identität oder werden sie austauschbare Anhängsel eines globalen Konzerns?
Was ist JD.com?
JD.com (auch Jingdong genannt) ist einer der größten chinesischen Online-Versandhändler mit Sitz in Peking. Das Unternehmen wurde 1998 gegründet und ist besonders stark in den Bereichen Elektronik, Haushaltswaren und Logistik. JD betreibt eine eigene Lieferkette und investiert stark in Künstliche Intelligenz und Automatisierung. In China ist JD der größte direkte Konkurrent von Alibaba. Die Expansion nach Europa gilt als strategischer Schritt zur Internationalisierung.
Was ist Ceconomy?
Ceconomy AG ist ein deutsches Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Düsseldorf, das aus der Aufspaltung von Metro hervorging. Es betreibt die Elektronikhändler Mediamarkt und Saturn mit über 1000 Filialen in Europa. Ceconomy ist in mehreren Ländern aktiv und beschäftigt rund 50.000 Mitarbeitende. Trotz rückläufiger Margen blieb das Unternehmen eine feste Größe im Elektronikhandel. Die Digitalisierung und die Konkurrenz durch Online-Plattformen stellten Ceconomy jedoch zuletzt vor große Herausforderungen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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