Die Schweiz hat angekündigt, Kremlchef Wladimir Putin trotz eines internationalen Haftbefehls Immunität zu gewähren, sollte er an einer möglichen Ukraine-Friedenskonferenz im Land teilnehmen. Außenminister Ignazio Cassis erklärte am Dienstag in Bern, der Bundesrat habe bereits im vergangenen Jahr Regeln für solche Fälle beschlossen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte im März 2023 einen Haftbefehl gegen Putin erlassen, weil ihm die Zwangsverschleppung ukrainischer Kinder vorgeworfen wird.
Cassis verteidigte die Haltung mit dem Hinweis auf internationale Konferenzpraxis. Für Gespräche auf höchster Ebene sei Immunität zwingend, da ohne sie keine neutralen Friedensgespräche stattfinden könnten. Der IStGH ist für die Verfolgung schwerster Verbrechen wie Völkermord und Kriegsverbrechen zuständig und ermittelt auch zu den Vorgängen in der Ukraine. Russland erkennt das Gericht ebenso wenig an wie die USA.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor Genf als möglichen Standort für ein Treffen zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgeschlagen. Ein neutraler Ort sei unerlässlich, um beide Seiten an einen Tisch zu bringen, betonte Macron. Auf dem Gipfel mit US-Präsident Donald Trump in Washington hatten sich die europäischen Spitzenvertreter und Selenskyj grundsätzlich darauf geeinigt, ein Treffen in Europa zu organisieren.
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OZD-Kommentar
Die Schweizer Entscheidung ist ein diplomatischer Drahtseilakt – und ein moralisches Fiasko. Während Millionen Menschen im Ukraine-Krieg leiden, will Bern ausgerechnet den Mann, gegen den ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vorliegt, mit Immunität schützen. Der Anspruch der Schweiz, als neutraler Vermittler aufzutreten, stößt hier an seine Grenzen: Neutralität darf nicht zum Deckmantel für Straflosigkeit werden. Macrons Idee von Genf als Konferenzort wird damit politisch möglich, aber rechtlich höchst fragwürdig. Sollte Putin tatsächlich nach Genf reisen, wäre das ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit des IStGH – und ein Signal an Kriegsverbrecher weltweit, dass Macht stärker wiegt als Recht.
Lesermeinungen
„Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Opfer des Krieges – Immunität für Putin ist inakzeptabel.“ Konrad Denel
„Ohne Zugeständnisse wird Putin niemals an den Verhandlungstisch kommen – so funktioniert Diplomatie.“ Ines Bl.
„Die Schweiz riskiert ihre Glaubwürdigkeit als Rechtsstaat, wenn sie internationales Recht aushebelt.“ Werner Zimt
OZD-Analyse
Schweizer Position
– Cassis betont, dass Immunität für Staatschefs bei internationalen Konferenzen üblich ist.
– Bern will damit seine Rolle als Vermittler zwischen den Fronten sichern.
– Rechtlich bleibt dies ein Balanceakt zwischen internationaler Diplomatie und Verpflichtungen gegenüber dem IStGH.
Internationale Dimension
a) Macron schlägt Genf als neutralen Konferenzort vor.
b) Alle Gipfelteilnehmer in Washington befürworten ein Treffen in Europa.
c) Damit wächst der Druck auf die Schweiz, aktiv einzuspringen.
Risiko für den Internationalen Strafgerichtshof
– Der Haftbefehl gegen Putin wäre de facto wirkungslos.
– Glaubwürdigkeit des IStGH würde beschädigt, wenn westliche Staaten Immunität akzeptieren.
– Signalwirkung: Machtpolitische Interessen verdrängen internationale Rechtsnormen.
Folgen für die Ukraine
– Selenskyj könnte in eine schwierige Position gedrängt werden: Gesprächsbereitschaft ja, aber unter Preisgabe juristischer Prinzipien.
– Das Opferland riskiert, dass Kriegsverbrechen politisch relativiert werden.
Was ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH)?
Der IStGH mit Sitz in Den Haag wurde 2002 gegründet, um schwerste internationale Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Mehr als 120 Staaten sind Mitglied, darunter auch die EU-Länder und die Schweiz. Russland, die USA und China gehören nicht dazu. Der Haftbefehl gegen Putin war ein historischer Schritt, da er zum ersten Mal gegen einen amtierenden UN-Sicherheitsratschef erlassen wurde.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.