Die nächtliche Angriffswelle Russlands mit über 600 Drohnen und Raketen gegen die Ukraine zeigt in brutaler Deutlichkeit, dass der Kreml nicht einmal ansatzweise bereit ist, die zivile Bevölkerung zu schonen. Offiziell spricht das russische Verteidigungsministerium zwar von Angriffen ausschließlich auf militärische Ziele, doch die Realität widerlegt diese Darstellung. Wohnhäuser, ein Herzzentrum und sogar ein Kindergarten wurden getroffen. Unter den mindestens vier Toten war ein zwölfjähriges Mädchen, über 40 Menschen wurden verletzt. „Wieder einmal ist es ein Krieg gegen Zivilisten“, erklärte der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak.
Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte angesichts der Angriffe, Russland verdiene „den härtesten Druck der Welt“. Er machte unmissverständlich klar, dass der Krieg nicht enden werde, solange der Kreml durch Energieexporte Profit aus seiner Aggression ziehe. Fotos von brennenden Häusern und der Bergung von Verschütteten verdeutlichen, wie sehr das Leid der Zivilbevölkerung Teil der russischen Kriegsführung ist.
Die Folgen waren auch über die Ukraine hinaus zu spüren. Polen ließ Kampfjets aufsteigen und versetzte sein Luftabwehrsystem in höchste Alarmbereitschaft. Es handelte sich um Vorsichtsmaßnahmen, die zeigen, wie nah der Krieg mittlerweile an die Nato-Grenzen herangerückt ist. Schon mehrfach hatten Polen und andere Nachbarländer Luftraumverletzungen durch russische Drohnen gemeldet. Die Nato spricht von hybriden Angriffen, die den Zusammenhalt des Bündnisses auf die Probe stellen sollen.
Im Osten meldete Moskau die Einnahme mehrerer Dörfer in der Region Donezk sowie um Stepowe in der Region Dnipropetrowsk. In der Region Cherson kamen durch russisches Sperrfeuer weitere Zivilisten ums Leben. Damit unterstreicht Russland erneut, dass es sein Vorgehen im Donbass und im Süden der Ukraine ungebrochen fortsetzt.
Selenskyj setzt weiterhin auf die Unterstützung der Verbündeten. Er kündigte an, dass die Ukraine bereits ein Patriot-Luftabwehrsystem von Israel erhalten habe und im Herbst zwei weitere folgen sollen. Diese Systeme sind essenziell, um wenigstens einen Teil der Raketen- und Drohnenangriffe abzufangen. Doch die Zahl der eingesetzten Geschosse in dieser Angriffsnacht zeigt: Selbst mit modernster Technik ist die Ukraine einem Dauerfeuer ausgesetzt, das nur durch massive internationale Hilfe eingedämmt werden kann.
OZD-Analyse
Russland führt längst einen Krieg der Einschüchterung, der über die Frontlinien hinausgeht. Jeder Angriff auf zivile Infrastruktur ist nicht nur militärische Aktion, sondern Teil einer psychologischen Strategie: Angst verbreiten, das Vertrauen in den Staat zerstören, den Westen zur Resignation drängen. Doch das Gegenteil tritt ein – die Nato rückt enger zusammen, Polen und andere Anrainerstaaten verstärken ihre Verteidigungsmaßnahmen.
Die zentrale Frage lautet: Wie lange kann der Westen den Druck aufrechterhalten, ohne eigene rote Linien zu überschreiten? Lawrows Drohung bei den Vereinten Nationen, auf „jegliche Aggression“ mit „entschlossener Reaktion“ zu antworten, war eindeutig gegen die Nato adressiert. Hier zeigt sich, dass Moskau gezielt auf Eskalation setzt – mit dem Kalkül, die Gegner einzuschüchtern.
Prognose: Der Krieg wird sich weiter internationalisieren. Je länger Russland auf Drohnen- und Raketenmassenangriffe setzt, desto größer ist die Gefahr, dass ein Projektil oder Trümmerteil auf Nato-Gebiet einschlägt. Ein solcher Zwischenfall könnte den Bündnisfall näherbringen. Gleichzeitig wird die Ukraine nur dann bestehen können, wenn der Westen ihre Luftabwehr massiv aufstockt – von Patriot bis hin zu modernen Drohnenabwehrsystemen.
OZD-Erklärungen
Wer ist Wolodymyr Selenskyj?
Der Präsident der Ukraine seit 2019, international bekannt für seine unermüdlichen Appelle an den Westen, sein Land gegen die russische Invasion zu unterstützen.
Wer ist Sergej Lawrow?
Der russische Außenminister seit 2004. Er gilt als Sprachrohr des Kremls auf internationaler Bühne und verteidigt aggressiv Moskaus Kriegspolitik.
Was bedeutet „hybrider Angriff“?
Ein Angriff, der nicht nur militärische, sondern auch psychologische und politische Dimensionen umfasst. Ziel ist es, Unsicherheit zu erzeugen, Gegner zu destabilisieren und den gesellschaftlichen Widerstand zu brechen.
OZD
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Bild: AFP