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Selenskyj zwingt zwei Minister zum Rücktritt

Ein massiver Korruptionsskandal erschüttert die Ukraine: Energieministerin Switlana Grintschuk und Justizminister Herman Haluschtschenko treten auf Druck von Präsident Selenskyj zurück. Ermittler sprechen von einem weit verzweigten Netz um einen engen Vertrauten des Präsidenten.

Inmitten des russischen Angriffskriegs muss sich die Ukraine einem politischen Beben stellen: Wegen einer Korruptionsaffäre im Energiesektor haben am Mittwoch Energieministerin Switlana Grintschuk und Justizminister Herman Haluschtschenko ihre Rücktritte eingereicht. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte beide zuvor in einer Videobotschaft öffentlich zum Rücktritt aufgefordert – ein drastischer Schritt, der das ganze Land aufhorchen ließ.

Im Zentrum der Ermittlungen steht Timur Minditsch, ein enger Vertrauter Selenskyjs und Miteigentümer der Produktionsfirma Kwartal 95, mit der der Präsident vor seiner politischen Karriere als Komiker bekannt wurde. Ermittler der Antikorruptionsbehörde Nabu und der Spezialstaatsanwaltschaft Sapo werfen Minditsch vor, ein Netzwerk systematischer Bestechung und Geldwäsche im Energiesektor aufgebaut zu haben. Es geht um rund 100 Millionen Dollar an Schmiergeldern.

Haluschtschenko, der das Energieministerium bis zum Sommer geleitet hatte, gilt laut Ermittlern als Schlüsselfigur der Affäre. Er soll „persönliche Vorteile“ erhalten haben, um die Kontrolle über Geldflüsse in der Energiebranche zu sichern. „Ich werde mich vor Gericht verteidigen“, sagte er. Grintschuk betonte in ihrer Erklärung, sie habe „nicht gegen das Gesetz verstoßen“.

Selenskyj begründete seinen Schritt ungewöhnlich offen: „Es ist absolut inakzeptabel, dass es im Energiesektor weiterhin Machenschaften gibt, während Ukrainer täglich unter russischen Angriffen leiden.“ Der Rücktritt der Minister solle zeigen, dass niemand über dem Gesetz stehe.

Aus Berlin kamen mahnende Worte: Regierungssprecher Stefan Kornelius forderte eine „transparente und lückenlose Aufklärung“ der Vorwürfe. Die Bundesregierung stehe „in engem Austausch“ mit Kiew, habe aber derzeit keine Hinweise, dass deutsche Hilfsgelder betroffen seien.

Für Präsident Selenskyj ist der Skandal heikel: Korruptionsbekämpfung gehört zu den wichtigsten EU-Beitrittsbedingungen. Schon im Sommer geriet die Regierung unter Druck, weil sie versucht hatte, die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden einzuschränken.

Dass der Skandal ausgerechnet den Energiesektor betrifft, trifft die Ukraine ins Mark: Während russische Raketen auf Umspannwerke und Kraftwerke zielen, kämpfen viele Bürger um Strom und Wärme – und sehen zugleich, wie Funktionäre Millionen verschwinden lassen. Die Empörung im Land wächst.

OZD 


OZD-Kommentar:
Korruption in Kriegszeiten – das ist mehr als ein politischer Skandal, es ist ein moralischer Bankrott. Wenn mitten im Überlebenskampf einflussreiche Politiker Millionen veruntreuen, verlieren sie nicht nur das Vertrauen ihrer Bürger, sondern auch das ihrer Partner im Westen. Selenskyj reagiert mit Härte – doch sein Versprechen, Korruption auszurotten, steht auf der Kippe. Der Rücktritt zweier Minister mag wie ein Befreiungsschlag wirken, doch ohne tiefgreifende Reformen bleibt es Symbolpolitik. Europa schaut genau hin – und wird künftig nicht nur Waffen, sondern auch saubere Verwaltung verlangen.


Mini-Infobox:
Rücktritte: Energieministerin Switlana Grintschuk und Justizminister Herman Haluschtschenko
Zentralfigur: Timur Minditsch, Vertrauter von Präsident Selenskyj
Summe: rund 100 Mio. Dollar Schmiergelder
Ermittler: Nabu und Sapo
Reaktion: Bundesregierung fordert Transparenz, keine Auswirkungen auf Hilfsgelder


OZD-Analyse

Hintergrund des Skandals
a) Seit Jahren gilt der ukrainische Energiesektor als Hochrisikobereich für Korruption.
b) Der Krieg verschärfte die Intransparenz – Milliarden an Hilfsgeldern flossen ohne klare Kontrolle.
c) Nabu und Sapo versuchen, diese Strukturen aufzubrechen, stoßen aber regelmäßig auf politische Widerstände.

Politische Konsequenzen
– Selenskyjs Ansehen steht auf dem Spiel: Sein Versprechen von Reform und Integrität wird auf die Probe gestellt.
– Der öffentliche Rücktrittsaufruf ist ein Versuch, Stärke zu zeigen und westliche Partner zu beruhigen.
– Doch viele Ukrainer empfinden die Reaktion als zu spät – und fragen, wie tief das Netzwerk reicht.

Europäische Dimension
– Die EU-Kommission hat wiederholt gefordert, Korruption als Beitrittshindernis konsequent zu bekämpfen.
– Deutschland und andere Geberstaaten erwarten volle Transparenz bei der Verwendung von Hilfsgeldern.
– Die Affäre könnte den EU-Verhandlungsprozess verlangsamen, falls sich systemische Mängel bestätigen.


Wer ist Timur Minditsch?
Timur Minditsch ist ein ukrainischer Geschäftsmann und langjähriger Weggefährte von Präsident Selenskyj. Als Miteigentümer der Produktionsfirma Kwartal 95 war er Teil des inneren Zirkels um den späteren Präsidenten. Ermittler werfen ihm vor, ein komplexes System der Geldwäsche und Korruption im Energiesektor aufgebaut zu haben.

Was ist das Nabu?
Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (Nabu) wurde 2015 gegründet, um Korruption in höchsten Regierungskreisen zu bekämpfen. Es arbeitet eng mit der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (Sapo) zusammen. Beide Behörden gelten als entscheidend für den EU-Beitrittsprozess der Ukraine.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.

OZD-Extras
Fakt am Rande: Seit Beginn des Kriegs hat die Ukraine mehr als 15 Milliarden Euro internationale Unterstützung für den Energiesektor erhalten – eine genaue Aufschlüsselung der Mittelverwendung steht jedoch bis heute aus.