Inmitten der hektischen diplomatischen Bemühungen um den von den USA vorgeschlagenen Friedensplan für die Ukraine hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine klare rote Linie gezogen. In einem Interview mit RTL stellte er unmissverständlich klar, dass Washington keinen Zugriff auf in Europa eingefrorene russische Vermögenswerte haben werde. „Die Europäer sind die einzigen, die entscheiden, was mit den in Europa eingefrorenen russischen Vermögen passiert“, sagte Macron. Es sei geltendes Recht – und Europa habe das immer so praktiziert.
Der von US-Präsident Donald Trump vorgelegte Plan sieht vor, 100 Milliarden Dollar russischer Vermögenswerte unter US-Führung für Wiederaufbauprojekte in der Ukraine zu nutzen, die Hälfte der Gewinne soll an die USA fließen. Für Macron ist das inakzeptabel. Ebenso wenig will er zulassen, dass die USA die territoriale Frage des Krieges bestimmen: „Niemand kann an der Stelle der Ukraine sagen, zu welchen territorialen Zugeständnissen sie bereit sind.“
Macron warnte eindringlich davor, die Ukraine im Stich zu lassen. Ein Zurückweichen würde aus seiner Sicht „Russland gegenüber Schwäche“ signalisieren. Moskau investiere ein Drittel seines Staatshaushalts in Rüstung, um seine Fronten zu versorgen – und möglicherweise auch, „um künftig uns zu bedrohen, falls wir uns schwach zeigen“.
Der französische Präsident äußerte sich zudem zu den Reformplänen des nationalen Dienstes. Zwar werde er „umgeformt“, doch gehe es nicht darum, „unsere jungen Menschen in die Ukraine zu schicken“. Medien berichten über eine neue Form militärischer Grundausbildung, zehn Monate lang, entlohnt, als Teil einer langfristigen Stärkung der französischen Streitkräfte.
Parallel dazu zog sich die internationale Diplomatie zusammen: Die „Koalition der Willigen“, eine Gruppe aus rund 30 überwiegend europäischen Staaten, wollte am Dienstag eine Bilanz der jüngsten Ukraine-Gespräche in Genf ziehen. Vertreter der USA, der Ukraine und Europas hatten dort über den viel diskutierten 28-Punkte-Plan beraten, der in seiner ursprünglichen Fassung Russland mehrere zentrale Forderungen zugesteht. Laut europäischen Quellen gab es zumindest gewisse Fortschritte.
OZD

OZD-Kommentar
Macrons Worte sind mehr als ein höflicher Hinweis an Washington – sie sind ein politischer Warnschuss. Während die USA mit einem Plan vorpreschen, der Russland faktisch belohnt, stemmt sich Paris gegen eine Entwicklung, die Europa zum Juniorpartner degradieren würde. Die Botschaft ist klar: Über russische Milliarden, über Grenzen, über Frieden entscheidet Europa, nicht das Weiße Haus.
Trump kalkuliert, dass Europa angesichts der militärischen Lage einknickt. Macron rechnet dagegen. Sein drastischer Hinweis auf Russlands Rüstungsbudget ist nicht Panikmache, sondern Realismus. Denn wer jetzt die Ukraine fallen lässt, sendet ein Signal, das Wladimir Putin sofort deuten würde: Europa ist manipulierbar. Genau das versucht Macron zu verhindern.
Doch die Wahrheit ist unbequem: Europa besitzt weder die militärische Stärke noch die diplomatische Einheit, um allein einen Friedensprozess zu gestalten. Wenn Macron also diese Linie zieht, muss Europa liefern – finanziell, politisch, sogar militärisch. Der französische Präsident riskiert viel. Aber jeder Kompromiss, der Europas Souveränität aushebelt, wäre gefährlicher.
Mini-InfoboxMacron: „Europa entscheidet über russische Vermögen“
US-Plan fordert Nutzung von 100 Mrd. Dollar russischer Gelder
Paris warnt vor territorialen Vorgaben durch die USA
Neue französische Grundausbildung: zehn Monate, entlohnt
Fortschritte bei Ukraine-Gesprächen in Genf gemeldet

OZD-Analyse
1. Europäische Souveränität vs. US-Führungsanspruch
– a) Macron verteidigt die Hoheit Europas über eingefrorene Vermögen.
– b) Der US-Plan greift direkt in europäische Rechtsräume ein.
– c) Politische Dimension: Europa soll zahlen, die USA profitieren – das sorgt für erheblichen Widerstand.
2. Territoriale Integrität der Ukraine als Kernkonflikt
– a) Macron betont, nur die Ukraine könne über Gebietsfragen entscheiden.
– b) Der US-Plan enthält de facto russische Gewinnerwartungen.
– c) Dies widerspricht der europäischen Linie seit 2022 – und stellt Kiew politisch unter Druck.
3. Militarisierung und strategische Zukunft Europas
– a) Frankreich reagiert mit der Reform seines nationalen Dienstes.
– b) Ziel: langfristige Stärkung der eigenen Streitkräfte.
– c) Europas Handlungsfähigkeit hängt zunehmend von eigener militärischer Stärke ab – nicht nur von NATO-Strukturen.
Die „Koalition der Willigen“ ist
eine lose Gruppe von rund 30 vorwiegend europäischen Staaten, die sich
koordinieren, um die Ukraine politisch, diplomatisch und militärisch zu
unterstützen. Sie dient als flexibles Format parallel zu EU- und
NATO-Strukturen und ermöglicht schnellere Abstimmungen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Emmanuel Macron ist seit 2017
Präsident Frankreichs. Der frühere Investmentbanker und
Wirtschaftsminister gilt als pro-europäischer Politiker, der Europas
strategische Autonomie stärken will. In der Ukraine-Politik sieht er
Frankreich als zentrale europäische Führungsmacht.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Extra: Warum eingefrorene Vermögen völkerrechtlich so heikel sind
Das Einfrieren staatlicher Vermögen ist ein schwerer Eingriff ins
Eigentumsrecht zwischen Staaten. Eine Verwendung dieser Gelder für
Rekonstruktion oder militärische Zwecke gilt als juristisch umstritten
und könnte Präzedenzfälle schaffen – genau deshalb pocht Macron auf
europäische Kontrolle.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.