Wenige Stunden vor dem offiziellen Abschluss der Weltklimakonferenz COP30 in Belém zeichnet sich ein dramatischer Stillstand ab. Die brasilianische Präsidentschaft legte Freitagfrüh einen neuen Beschlussentwurf vor, doch was viele Länder als Herzstück der Verhandlungen betrachten, fehlt vollständig: ein klarer Fahrplan zum Ausstieg aus fossilen Energien. Das Dokument bekennt sich zwar mehrfach zur 1,5-Grad-Grenze, verweist auf notwendige Emissionssenkungen, vermeidet aber jedes Wort zu Kohle, Öl und Gas.
Entsprechend scharf reagierte die EU. „Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist inakzeptabel“, sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra. Bundesumweltminister Carsten Schneider sprach von einem Entwurf, der „so nicht bleiben“ könne. Ähnlich äußerten sich Kolumbien und Vertreter der Inselstaaten, die angesichts steigender Meeresspiegel besonders verwundbar sind. Kolumbiens Umweltministerin Irene Vélez Torres warnte, die Konferenz dürfe „nicht mit einem leeren Dokument“ enden.
Rund 30 Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien, hatten bereits am Donnerstag schriftlich gedroht, einem Beschluss ohne Ausstiegsfahrplan nicht zuzustimmen. Nach Angaben eines Verhandlers blockieren vor allem China, Indien, Saudi-Arabien, Nigeria und Russland jede verbindliche Formulierung. Da Beschlüsse im Konsens gefasst werden müssen, droht die COP30 erneut zur Geduldsprobe zu werden.
Paris warf den Ölförderstaaten offen vor, die Konferenz zu sabotieren. Die französische Ministerin Monique Barbut sagte, Russland, Indien und Saudi-Arabien seien die größten Bremser – und viele Schwellenländer folgten ihnen. Ironischerweise hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva selbst den Fahrplan vor Wochen angestoßen, nun jedoch relativiert: Jedes Land solle im eigenen Tempo vorgehen, Fristen wolle er nicht festlegen.
Umweltorganisationen reagierten wütend. Greenpeace Deutschland nannte den Entwurf „zynisch“, WWF Deutschland sprach von einer „enttäuschenden Vorlage“, und Oxfam warnte vor einem „politischen Fehlschlag“. Dass ein Brand auf dem Gelände am Donnerstag die Verhandlungen zusätzlich verzögerte, verstärkte das Chaos nur. Die brasilianische Polizei meldete am Freitag zusätzlich Unregelmäßigkeiten bei Sicherheitsfirmen auf dem Gelände.
Ein Scheitern der COP30 wäre historisch – seit 2003 endete keine Weltklimakonferenz mehr pünktlich, doch nun könnte sie ohne inhaltliche Einigung auslaufen. Die Verhandler bereiten sich auf eine lange Nacht vor, möglicherweise bis weit in den Samstag hinein.
OZD
OZD-Kommentar
Die COP30 kippt – und niemand kann behaupten, er habe es nicht kommen sehen. Während die Welt nach klaren Entscheidungen schreit, liefert der neue Entwurf diplomatische Nebelkerzen. Kein Wort zu fossilen Energien, keine Roadmap, keine Verpflichtung – das ist ein Dokument für die Schublade, nicht für einen brennenden Planeten. Dass ausgerechnet einige der größten Emittenten jede Form von Fortschritt blockieren, ist der altbekannte Tanz zwischen Verantwortung und Ausreden. Und Lula? Der Präsident, der vor Monaten selbst den Ausstiegsfahrplan verlangte, zieht sich nun auf die Formel der „Möglichkeiten“ zurück – ein politisches Wegducken im entscheidendsten Moment. Wenn dieser Text Bestand hätte, wäre die COP30 nicht nur gescheitert, sie wäre zu einem Symbol globalen Versagens geworden.

Mini-Infobox
Neuer Entwurf enthält keinen Ausstiegsfahrplan aus fossilen Energien
EU, Deutschland und Kolumbien drohen mit Blockade
Ölförderländer gelten als Hauptblockierer
Brand und Sicherheitsprobleme verzögerten Verhandlungen
Abschluss nun vermutlich erst am Samstag
OZD-Analyse
OZD-Analyse
Politische Frontlinien der COP30
– Der Entwurf ignoriert zentrale Forderungen vieler Staaten nach einem klaren Ausstieg aus fossilen Energien.
– China, Indien, Saudi-Arabien, Nigeria und Russland blockieren jede bindende Formulierung.
– Die EU und mehrere lateinamerikanische Länder erhöhen den Druck und drohen mit Nein-Stimmen.
Bedeutung des Ausstiegsfahrplans
– a) Klimawissenschaftliche Notwendigkeit –
– Ohne einen globalen Ausstiegspfad sind die 1,5 Grad endgültig unerreichbar.
– b) Politische Konsequenzen –
– Ein Scheitern der COP30 würde Vertrauen in multilaterale Klimapolitik erschüttern.
– c) Geopolitische Dimension –
– Ölförderstaaten schützen ihre Wirtschaftsmodelle und verschieben Entscheidungen auf unbestimmte Zeit.
Risiken eines Abbruchs ohne Einigung
– Ein Scheitern würde die Verhandlungen in die nächste COP tragen und wertvolle Zeit verschwenden.
– Staaten könnten eigene Wege gehen – Fragmentierung statt globaler Klimapolitik.
– Klimaschutz-Investitionen und Märkte würden verunsichert, weil regulatorische Signale fehlen.

Die COP30 ist die 30.
UN-Weltklimakonferenz. Sie bringt Vertreter aus rund 190 Staaten
zusammen, um gemeinsame Regeln und Maßnahmen für den globalen
Klimaschutz zu verhandeln.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Wopke Hoekstra ist
EU-Klimakommissar und eine der zentralen Stimmen Europas in
internationalen Klimaverhandlungen. Er tritt für ehrgeizige
Emissionsminderungen und einen klaren Ausstieg aus fossilen Energien
ein.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Extra: Warum Klimakonferenzen selten pünktlich enden
Klimagipfel gehören zu den komplexesten diplomatischen Formaten der
Welt. Da alle Staaten zustimmen müssen, führen einzelne Blockaden fast
immer zu Nachtsitzungen – und oft zu Marathonverhandlungen bis weit in
das Wochenende hinein.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.