Die deutlichen Einbußen bei den Steuereinnahmen stellen die neue schwarz-rote Bundesregierung vor eine ihrer ersten großen Bewährungsproben – und offenbaren die strukturellen Schwächen der deutschen Finanzpolitik. Dass Bundesfinanzminister Lars Klingbeil zur Haushaltsdisziplin mahnt, ist angesichts eines erwarteten Steuer-Minus von über 80 Milliarden Euro bis 2029 zwar nachvollziehbar. Doch allein mit dem Ruf nach Konsolidierung lässt sich weder der Investitionsbedarf decken noch die wirtschaftliche Dynamik neu entfachen.
Die Spannung zwischen Sparzwang und notwendigen Investitionen wird zunehmend zur Zerreißprobe. Während Klingbeil auf "Prioritätensetzung" und ein "Investitionsbooster"-Programm setzt, fordern Wirtschaftsverbände bereits eine spürbare Senkung der Unternehmenssteuern – und zwar sofort, nicht erst ab 2028. Die Argumentation: Deutschland verliere sonst im internationalen Wettbewerb weiter an Boden.
Auf der anderen Seite mahnt der Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht, dass Kürzungen im öffentlichen Bereich eine ohnehin fragile Konjunktur weiter belasten könnten. Statt eines Spardiktats wäre ein klug gesteuerter Investitionspfad notwendig – einer, der das Sondervermögen nicht nur auf dem Papier beschließt, sondern es schnell wirksam werden lässt.
Besonders bemerkenswert ist Klingbeils Vorstoß zur Reform der Schuldenbremse. Dass eine Expertenkommission noch in diesem Jahr Gesetzesvorschläge zur Modernisierung vorlegen soll, ist ein wichtiges Signal. Die aktuelle Ausgestaltung der Schuldenbremse wirkt in Krisenzeiten zunehmend als Investitionsbremse – hier bedarf es einer Reform, die fiskalische Stabilität mit zukunftsfähiger Politik verbindet.
Kurzum: Die Bundesregierung steht vor der Herausforderung, fiskalische Realität mit politischem Gestaltungsanspruch zu vereinen. Wenn sie das ernst meint, braucht es mehr als bloße Disziplin – es braucht Mut zur Weichenstellung.
OZD
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