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Das Schweigen ist Mitschuld – Frankreichs Skandal um Le Scouarnec erschüttert und beschämt

299 Opfer, jahrzehntelanger Missbrauch, ein Tagebuch voller Gräueltaten – und dennoch kaum öffentliche Empörung. Der Fall Joël Le Scouarnec offenbart nicht nur individuelle Schuld, sondern auch ein kollektives Versagen. Ein Kommentar.

Es ist ein Verbrechen, das jede Vorstellungskraft sprengt – und dennoch blieb der Aufschrei aus. Der Fall des französischen Arztes Joël Le Scouarnec, der über Jahrzehnte hinweg mindestens 299 Kinder sexuell missbrauchte, ist einer der schlimmsten Missbrauchskomplexe Europas. Und doch wird er in der Öffentlichkeit Frankreichs fast beiläufig behandelt. Wo bleibt der gesellschaftliche Aufschrei? Wo die politische Verantwortung?

Der Angeklagte selbst bittet das Gericht nicht um Milde – immerhin. Doch was nützt die Reue eines Mannes, der jahrzehntelang Jungen und Mädchen, darunter seine eigene Enkelin, missbrauchte – unter dem Deckmantel des Arztberufs, während seine Opfer wehrlos waren, oft narkotisiert? Wer so handelt, verwirkt jeden Anspruch auf Menschlichkeit.

Mindestens genauso erschreckend wie die Taten ist jedoch, wie lange dieses Systemversagen möglich war. Eine Verurteilung 2004 wegen Besitzes von Kinderpornografie? Bewährung – und weiter im weißen Kittel. Danach neue Stellen, neue Zugänge, neue Opfer. Niemand hielt ihn auf. Warum nicht?

Dieses Schweigen ist unerträglich – nicht nur das in Gerichtssälen, sondern auch das der Politik, der Institutionen, der Öffentlichkeit. Es ist ein Schweigen, das schützt – nicht die Opfer, sondern den Täter. Dass Betroffene vor dem Gericht gegen eben dieses Schweigen protestieren mussten, ist ein Armutszeugnis.

Dieser Prozess hätte ein nationales Erdbeben sein müssen. Stattdessen blieb er eine Randnotiz. Man fragt sich: Wäre der gesellschaftliche Umgang genauso apathisch gewesen, wenn es um Finanzskandale oder Wahlmanipulation gegangen wäre?

Es geht hier nicht nur um Rechtsprechung. Es geht um Anerkennung, um gesellschaftliche Verantwortung, um eine Entschuldigung an jene, denen ein ganzes Leben genommen wurde. Und um die Frage: Wer schützt die Kinder, wenn Institutionen versagen?

Le Scouarnecs Prozess ist ein Spiegel – und was Frankreich darin sieht, ist beschämend. Jetzt ist die Zeit, aufzuwachen. Zu reden. Zu handeln. Sonst bleiben wir Teil des Systems, das solchen Tätern jahrzehntelang freie Hand ließ.

OZD



Alle Angaben ohne Gewähr.

Bild: AFP