Was jetzt durch den neuen Verteidigungsminister John Healey im britischen Parlament öffentlich gemacht wurde, ist in Wahrheit nichts anderes als ein staatlicher Skandal mit dramatischer humanitärer Dimension. Im Februar 2022, ein halbes Jahr nach der Machtergreifung der Taliban, leakt ein britischer Beamter versehentlich die persönlichen Daten von rund 19.000 afghanischen Ortskräften und deren Familien, die Schutz in Großbritannien beantragt hatten. Ein GAU. Namen, Kontakte, Rückverfolgbarkeit – offengelegt in einem Moment, in dem die Taliban gezielt gegen ehemalige Mitarbeiter westlicher Organisationen vorgingen.
Was folgte, war kein öffentlicher Alarm, keine sofortige Entschuldigung, keine transparente politische Debatte. Stattdessen: Geheimhaltung, Nachrichtensperre, gerichtlich verfügtes Schweigen. Ein Programm zur Rettung der am stärksten gefährdeten Personen wurde zwar gestartet – aber der Öffentlichkeit, dem Parlament und der Presse systematisch vorenthalten. Selbst nach Regierungswechsel im Juli 2024 versuchte die neue Labour-Regierung, die Enthüllung hinauszuzögern – aus Angst, noch mehr Aufmerksamkeit könne „Risiken erhöhen“. Spätestens da verlor diese Regierung jede moralische Glaubwürdigkeit in dieser Sache.
Dass fast 7000 Menschen in einem geheimen Sonderprogramm aufgenommen wurden, ist keine Heldentat – es ist eine längst überfällige Notmaßnahme zur Korrektur eigenen Versagens. Tausende andere Betroffene aber blieben offenbar ohne Hilfe. Es ist unklar, wie viele Menschen durch das Datenleck ins Visier der Taliban gerieten oder ums Leben kamen. Healey selbst spricht von einer "sehr geringen Absicht" der Taliban zur Vergeltung – eine Aussage, die entweder naiv oder zynisch wirkt. Wer trägt die Verantwortung für jene, die in Afghanistan untergetaucht leben oder getötet wurden, weil der britische Staat ihre Namen entblößt hat?
Ein weiterer Skandal: Die bisher längste Nachrichtensperre dieser Art in Großbritannien – verhängt gegen die freie Presse. Dass ein demokratischer Rechtsstaat auf diese Weise mit Informationen umgeht, ist ein schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit und untergräbt das Vertrauen in demokratische Institutionen. Die nun eingestandenen 400 bis 850 Millionen Pfund Kosten für das Programm sind keine Investition in Menschlichkeit – sie sind ein Preis für politische und administrative Schlamperei.
Der Fall zeigt: "Leave no one behind" war auch für Großbritannien ein hohles Versprechen
OZD
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Bild: dpa / UK Parliament