Wie viele Warnsignale braucht es noch, bis in Deutschlands Bahnpolitik mehr passiert als Schadensbegrenzung?
Es sind diese kurzen Nachrichten, die viele nur mit einem Achselzucken wahrnehmen: Zug entgleist, mindestens drei Verletzte, Ursache unklar. Eine regionale Notiz – tragisch, aber irgendwie doch „nur“ ein weiterer Vorfall im Alltag der deutschen Schieneninfrastruktur. Doch gerade in dieser Routine liegt das eigentliche Problem.
Der Unfall bei Riedlingen am Sonntagabend wirft wieder einmal unbequeme Fragen auf: Warum entgleist im Jahr 2025 in einem hochindustrialisierten Land ein Personenzug – auf einer Strecke, die täglich von Pendlern, Schülern und Reisenden genutzt wird? Warum gibt es zwar jedes Mal einen reibungslos organisierten Großeinsatz von Rettungskräften, aber kaum strukturelle Konsequenzen im Anschluss? Und vor allem: Warum werden derartige Ereignisse so selten zum politischen Thema?
Noch wissen wir wenig über die Ursache des Unglücks. Die Bundespolizei hält sich mit Details zurück, spricht von laufenden Ermittlungen. Völlig zurecht. Doch aus Erfahrung wissen wir: Häufig kommen technische Mängel, marode Infrastruktur oder Versäumnisse im Betrieb als Erklärung ins Spiel. Und so darf man schon jetzt fragen: Wird dieser Vorfall ein weiteres Glied in der langen Kette der Versäumnisse bleiben?
Dass bei einem Regionalzug mit 100 Fahrgästen „nur“ drei Menschen verletzt wurden, wirkt wie ein Zufallsglück. Es hätte deutlich schlimmer ausgehen können – und genau das macht die Sache so brisant. Denn die Sicherheitsreserven im Bahnverkehr scheinen immer öfter zur letzten Verteidigungslinie zu werden. Wenn sie greifen, atmen alle auf. Doch was ist, wenn sie es einmal nicht tun?
Es wird höchste Zeit, dass solche Ereignisse nicht mehr als bloße „Vorfälle“ behandelt werden. Die strukturelle Überlastung, der Investitionsstau, der Personalmangel bei Instandhaltung und Kontrolle sind keine neuen Probleme – aber sie verschärfen sich. Die Bahn fährt unter Dauerstress – im Personen- wie im Güterverkehr. Und jeder Unfall, jede Entgleisung ist auch ein Symptom eines Systems, das zu lange auf Verschleiß gefahren wurde.
In den nächsten Tagen wird man vermutlich Aufnahmen von beschädigten Waggons sehen, Politiker werden Anteilnahme bekunden, die Bahn wird versichern, alles werde lückenlos aufgeklärt. Doch wie oft haben wir das schon gehört? Und wie oft hat es wirklich zu einem grundlegenden Umdenken geführt?
Die Bahn der Zukunft wird gerne versprochen – digital, pünktlich, klimafreundlich. Doch solange Regionalzüge bei Riedlingen aus den Gleisen springen, bleibt diese Vision eine gefährlich schöne Illusion.
OZD
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Bild: AFP