Es ist ein diplomatischer Paukenschlag: Zum ersten Mal seit 14 Jahren weht wieder die US-Flagge über der Residenz ihres Botschafters in Damaskus. US-Sondergesandter Thomas Barrack eröffnete das Gebäude persönlich – nur wenige hundert Meter von der noch geschlossenen US-Botschaft entfernt. Zeitgleich unterzeichnete Syrien ein Energieabkommen im Wert von sieben Milliarden Dollar mit einem Firmenkonsortium aus den USA, Katar und der Türkei.
Das Vertragswerk, das laut syrischen Angaben Strom für die Hälfte des Landes liefern soll, markiert eine historische Wende. Denn es ist nicht nur wirtschaftlich bedeutend – es symbolisiert eine politische Annäherung zwischen Washington und Damaskus, ein halbes Jahr nach dem Sturz des langjährigen Diktators Baschar al-Assad.
Der neue syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa, ein ehemaliger Dschihadist und Anführer der radikal-islamistischen Miliz HTS, bemühte sich zuletzt um ein gemäßigteres Auftreten. In Begleitung Barracks schlug er die Brücke zu einem anderen regionalen Brandherd: Israel. Barrack rief zu einem „Nichtangriffspakt“ zwischen Syrien und Israel auf.
„Das Problem zwischen Syrien und Israel kann gelöst werden“, sagte Barrack dem Sender Al-Arabija. Es wäre ein Novum – denn die beiden Staaten befinden sich seit 1948 offiziell im Kriegszustand.
In Washington begrüßte Präsident Donald Trump die Entwicklungen mit offenen Armen. Barrack sei „der richtige Mann, um das große Potenzial einer neuen syrisch-amerikanischen Partnerschaft zu heben“. Trump hatte Mitte Mai erstmals persönlich mit al-Scharaa gesprochen – und anschließend die Aufhebung der US-Sanktionen angekündigt.
Kritiker erinnern an die Vergangenheit al-Scharaas: Als ehemaliger Kämpfer der HTS, einer früheren Al-Kaida-Zweigstelle, war er lange selbst Teil des militanten Widerstands. Die Miliz hatte sich inzwischen vom Terrornetzwerk losgesagt und die Macht in Damaskus im Dezember übernommen.
Israel bleibt misstrauisch. Immer wieder griff die Armee syrische Stellungen an, um Waffenlieferungen an proiranische Gruppen zu verhindern. Sollte Damaskus die drusische Minderheit nicht schützen, droht Israel nun offen mit Konsequenzen.
Die indirekten Gespräche zwischen Damaskus und Tel Aviv sind ein Hoffnungsschimmer – aber auch ein riskantes Spiel in einer Region, die noch immer auf einem Pulverfass sitzt.
OZD
OZD-Kommentar
Was sich in Damaskus abspielt, ist historisch – aber nicht ohne toxische
Risiken. Wenn die USA mit einem ehemaligen Dschihadisten wie Ahmed
al-Scharaa ein Energieabkommen schließen und Sanktionen aufheben, ist
das mehr als pragmatische Diplomatie. Es ist ein kalkuliertes Spiel mit
dem Feuer.
Thomas Barracks Besuch und Trumps demonstrative Nähe zu al-Scharaa signalisieren: Washington will Einfluss in einer Region zurück, die jahrelang durch russisch-iranische Allianzen geprägt war. Doch der Preis ist hoch. Die USA verbünden sich de facto mit einer Miliz, die einst Teil von Al-Kaida war – und deren neue politische Maske noch lange kein Garant für Stabilität ist.
Das Energieabkommen ist wirtschaftlich sinnvoll. Doch politisch könnten die USA das Signal senden, dass selbst Extremisten wieder salonfähig sind – wenn sie nur die Seiten wechseln. Das Vertrauen in westliche Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit leidet darunter.
Und Israel? Steht plötzlich unter Druck, einen „Nichtangriffspakt“ mit einem fragilen Regime zu schließen, das sich noch nicht einmal selbst stabilisiert hat. Die USA brauchen in dieser Phase weniger Euphorie – und mehr Realismus. Die Bombe, die in Damaskus entschärft werden soll, könnte längst woanders ticken.
OZD-Analyse
1. Das Energieabkommen
a) Inhalt:
– Sieben Milliarden US-Dollar Volumen
– Beteiligte: Katar, USA, Türkei
– Ziel: 5000 Megawatt Strom – etwa 50 % des syrischen Bedarfs
b) Bedeutung:
– Symbolische Rückkehr der USA nach Syrien
– Öffnung zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach Machtwechsel
2. US-Diplomatie in Syrien
a) Wiedereröffnung der Botschafter-Residenz:
– Erstmals seit 14 Jahren gehisst: die US-Flagge in Damaskus
– Sicherheitsvorkehrungen bei der Zeremonie
– Kein offizieller Botschafter, aber Sondergesandter Barrack
b) Rolle von Donald Trump:
– Persönliches Treffen mit al-Scharaa
– Ankündigung: Aufhebung der US-Sanktionen
– Politisches Ziel: Eindämmung von Radikalismus, Rückkehr ins Machtspiel des Nahen Ostens
3. Sicherheitslage & Israel
a) Historischer Kriegszustand:
– Syrien und Israel seit 1948 offiziell im Kriegszustand
– Wiederholte israelische Luftschläge auf syrisches Militär
– Sorge um Waffenlieferungen an proiranische Gruppen
b) Perspektive des Nichtangriffspakts:
– Vorschlag durch Barrack
– Syrien signalisiert Gesprächsbereitschaft
– Israel skeptisch – besonders wegen Rolle der HTS
Wer ist Ahmed al-Scharaa?
Ahmed al-Scharaa ist
der neue Übergangspräsident Syriens. Er übernahm nach dem Sturz von
Diktator Baschar al-Assad im Dezember 2024 die Macht in Damaskus. Zuvor
war al-Scharaa Anführer der islamistischen Miliz HTS, die einst mit
Al-Kaida verbunden war. Seit dem Regierungswechsel bemüht er sich um
internationale Anerkennung und gibt sich moderater. Dennoch bleibt seine
Vergangenheit als Dschihadist umstritten. Unter seiner Führung strebt
Syrien außenpolitische Öffnung und wirtschaftliche Erholung an.
Was ist die HTS?
Hayat Tahrir al-Scham (HTS)
ist eine islamistische Miliz in Syrien, die ursprünglich als
Al-Nusra-Front bekannt war – einem syrischen Ableger von Al-Kaida. Sie
spaltete sich 2017 offiziell von Al-Kaida ab und formierte sich unter
dem neuen Namen. Die HTS kontrollierte lange Teile von Idlib und war
eine zentrale militärische Kraft im Bürgerkrieg. Nach dem Machtwechsel
in Damaskus übernahm sie unter Ahmed al-Scharaa politische Verantwortung
und versucht seitdem, sich als Regierungspartei zu etablieren. Ihre
internationale Anerkennung ist jedoch umstritten.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.