Der Ton wird schärfer: Mit deutlichen Warnungen hat der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, die Europäische Union davor gewarnt, eingefrorene russische Staatsvermögen zur Finanzierung eines Ukraine-Hilfspakets zu verwenden. Die Nutzung dieser Gelder ohne Zustimmung Russlands wäre „Diebstahl“ und hätte „weitreichende Konsequenzen“, erklärte er am Freitag. Die EU habe nach der Invasion der Ukraine Vermögenswerte im Wert von mehr als 200 Milliarden Euro eingefroren, der Großteil davon bei der belgischen Abwicklungsstelle Euroclear.
Während Moskau von einem „Präzedenzfall“ spricht, der den globalen Finanzmarkt erschüttern und die EU ins Chaos stürzen würde, läuft in Brüssel ein diplomatischer Kraftakt. Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen suchten am Freitagabend persönlich die Residenz des belgischen Premierministers Bart de Wever auf. Belgien blockiert bislang die Nutzung der Gelder für ein Reparationsdarlehen an die Ukraine – aus Angst vor rechtlichen und politischen Vergeltungsmaßnahmen.
Netschajew heizte diese Befürchtungen bewusst an. Der Botschafter warnte vor „rechtlicher Anarchie“ und der „Zerstörung der Grundlagen des globalen Finanzsystems“. Ein solcher Schritt würde „vor allem die Europäische Union treffen“, betonte er und gab sich überzeugt, dass man in Brüssel und Berlin längst verstanden habe, worum es gehe.
Die EU drängt dennoch auf eine Einigung. Bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 18. Dezember muss geklärt sein, wie die Ukraine in den kommenden zwei Jahren finanziert werden soll. Die EU-Kommission legte bereits einen Plan vor, der sicherstellen soll, dass Institutionen wie Euroclear das ausgezahlte Geld vollständig zurückerhalten und keine Vertragsverletzungen gegenüber russischen Eigentümern entstehen. Ob Belgien diese Garantie überzeugen wird, bleibt offen.
Merz sagte vor der Reise, er wolle De Wever „davon überzeugen, dass der Weg, den wir hier vorschlagen, richtig ist“. Die Gespräche fanden bewusst ohne öffentliche Statements statt – ein Hinweis, wie brisant die Lage inzwischen ist.
OZD
OZD-Kommentar „Geld, Macht, Drohungen – Europas riskanter Balanceakt“Europa steht an einem Wendepunkt, und der Kreml weiß das ganz genau. Wenn ein russischer Botschafter in Berlin der EU „weitreichende Konsequenzen“ androht, dann ist das keine diplomatische Floskel – es ist ein kalkulierter Versuch, Angst zu säen. Denn Moskau spürt, dass die EU erstmals bereit ist, ihre wirtschaftliche Macht als Waffe einzusetzen. Und genau das macht Putin nervös.
Doch die Wahrheit ist: Europa kann sich nicht ewig vor den eigenen Entscheidungen drücken. Diese Milliarden sind nicht irgendein Spielgeld, sie sind das wohl stärkste Druckmittel, das der Kontinent besitzt. Entschlossenheit wäre jetzt gefragt – stattdessen zittert man vor möglichen Gegenmaßnahmen aus Moskau.
Die Frage ist: Will die EU eine Rolle in dieser Krise spielen oder nur reagieren, wenn Russland die Bedingungen diktiert? Die endlosen juristischen Bedenken wirken wie ein bequemes Feigenblatt, hinter dem sich politische Furcht versteckt. Ja, dieser Schritt wäre historisch. Ja, er ist riskant. Aber noch riskanter wäre es, sich von russischen Drohgebärden aufhalten zu lassen.
Wenn Brüssel einknickt, hat Moskau gewonnen – ganz ohne eine einzige Rakete.
Mini-InfoboxEingefrorene russische Vermögen in der EU: über 200 Milliarden Euro
Großteil liegt bei Euroclear in Belgien
Belgien blockiert aktuell die EU-Pläne
Russland droht offen mit „weitreichenden Konsequenzen“
EU will bis 18. Dezember Einigung über Ukraine-Hilfen erzielen

1. Politische Dimension der Drohungen Moskaus
– a) Russland setzt gezielt auf Einschüchterung der EU
– b) Botschafter-Statements als verlängerter Arm des Kreml
– c) Versuch, Brüche innerhalb der EU auszunutzen
2. Strategische Bedeutung der eingefrorenen Vermögenswerte
– a) Größtes westliches Druckmittel gegen Russland
– b) Juristische Risiken, aber auch Präzedenzwert
– c) Potenziell entscheidend für Ukraine-Finanzierung
3. Rolle Belgiens als Blockierer
– a) Euroclear als empfindlicher Knotenpunkt
– b) Belgische Angst vor Vergeltung und Klagen
– c) Diplomatischer Druck von Merz und von der Leyen

Wer ist Sergej Netschajew?
Sergej Netschajew ist seit 2018 russischer Botschafter in Deutschland.
Er gilt als einer der härtesten Verfechter der Kreml-Linie in Europa.
Seine öffentlichen Stellungnahmen sind geprägt von scharfen Warnungen,
die Moskaus politische und diplomatische Position untermauern sollen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Extra: Warum Euroclear zum geopolitischen Nervenzentrum wurde
Die belgische Finanzinstitution verwaltet einen Großteil der
eingefrorenen russischen Vermögen. Ihre Rolle macht sie zu einem der
sensibelsten Punkte der europäischen Finanzarchitektur – und zu einem
der wichtigsten Hebel im Ukraine-Krieg.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.