Bundeskanzler Friedrich Merz hat während seines Antrittsbesuchs in Israel ein klares Zeichen gesetzt – und ist dabei bewusst gegen die Linie der israelischen Regierung geschwommen. Bei einer Pressekonferenz in Jerusalem bekräftigte Merz, dass die Gründung eines Palästinenserstaats die „beste Aussicht“ für eine Zukunft sei, in der Israelis, Palästinenser und arabische Nachbarn „dauerhaft im Frieden“ leben könnten.
Damit stellte er sich offen gegen Premierminister Benjamin Netanjahu, der an seiner kategorischen Ablehnung eines Palästinenserstaats festhält. „In der Frage von zwei Staaten haben wir offenkundig eine unterschiedliche Sichtweise“, sagte Netanjahu und warnte, ein Palästinenserstaat würde Israel bedrohen und sich dessen Vernichtung verschreiben. Eine große Mehrheit der Knesset teile diese Haltung, betonte er.
Merz blieb dennoch bei der Linie der Bundesregierung: Eine Anerkennung eines palästinensischen Staates komme „am Ende und nicht am Anfang“ eines Verhandlungsprozesses. Niemand wisse, wohin solche Gespräche führten, wichtig sei jedoch die Garantie von Sicherheit und Stabilität für Israel.
Der politische Schlagabtausch findet in einer Phase fragiler Ruhe statt. Nach zwei Jahren brutaler Kämpfe im Gazastreifen hält seit zwei Monaten eine wackelige Waffenruhe. In der ersten Phase des von US-Präsident Donald Trump vermittelten Abkommens hat die Hamas alle lebenden Geiseln freigelassen und fast alle getöteten Geiseln übergeben. Nur ein Leichnam steht noch aus.
Netanjahu deutete an, dass „sehr bald“ die zweite Phase beginnen werde: die Bildung einer Übergangsverwaltung im Gazastreifen, eine internationale Stabilisierungstruppe und die vollständige Entwaffnung der Hamas. Merz nannte diesen Punkt den entscheidenden Schritt. „Es kann in Gaza keine Rolle für die Hamas geben“, sagte der Kanzler. Von diesem Gebiet dürfe nie wieder Gefahr für Israel ausgehen.
OZD
OZD-Kommentar: „Zwischen Mut und Naivität“
Friedrich Merz zeigt Profil – doch sein Timing ist brandgefährlich. Offene Worte in Jerusalem erfordern diplomatische Sensibilität, und ausgerechnet jetzt den Palästinenserstaat zu betonen, während Israels Regierung ihn vehement ablehnt, ist ein riskanter Balanceakt. Merz will Brücken bauen, aber er tritt auf ein politisches Minenfeld.
Seine Botschaft klingt vernünftig. Doch die Realität im Nahen Osten funktioniert nicht nach Lehrbuchlogik. Netanjahus Regierung verweigert kompromisslos jeden Ansatz eines Palästinenserstaats. Ohne Bewegung in Jerusalem bleibt die Vision einer Zwei-Staaten-Lösung ein fernes Ideal. Merz wagt einen Vorstoß, den andere westliche Partner längst vollzogen haben – aber sein Einfluss ist begrenzt.
Er sendet ein Signal – doch ob irgendjemand im Nahen Osten noch zuhört, ist fraglich.

Mini-Infobox
Merz bekräftigt Zwei-Staaten-Lösung
Netanjahu lehnt Palästinenserstaat kategorisch ab
Waffenruhe im Gazastreifen seit zwei Monaten
Hamas hat fast alle Geiseln übergeben
Nächste Phase der Waffenruhe soll „bald“ beginnen
OZD-Analyse
1. Politische Botschaften des Kanzlers
– a) Betonung einer Zwei-Staaten-Lösung als langfristige Perspektive –
– b) Anerkennung eines Palästinenserstaats erst nach Verhandlungen –
– c) Fokus auf Sicherheit Israels als unverzichtbarer Rahmen –
2. Konfliktlinien mit Israels Regierung
– a) Netanjahu lehnt jeden Palästinenserstaat kategorisch ab –
– b) Regierung sieht darin existenzielle Bedrohung –
– c) Breite Zustimmung im israelischen Parlament zu dieser Position –
3. Bedeutung der Waffenruhe im Gazastreifen
– a) Erste Phase abgewickelt: Freilassung der Geiseln –
– b) Zweite Phase soll Übergangsverwaltung und Stabilisierung bringen –
– c) Vollständige Entwaffnung der Hamas bleibt zentraler Streitpunkt –

Erklärungen
Wer ist Benjamin Netanjahu?
Benjamin Netanjahu ist Israels langjähriger Ministerpräsident und prägt
mit seiner rechtskonservativen Politik seit Jahrzehnten die Sicherheits-
und Außenpolitik des Landes. Er lehnt einen Palästinenserstaat
kategorisch ab.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Was ist die Zwei-Staaten-Lösung?
Die Zwei-Staaten-Lösung ist ein international diskutiertes Konzept, das
einen unabhängigen Staat Palästina an der Seite Israels vorsieht. Sie
gilt als Kern möglicher Friedensverhandlungen im Nahostkonflikt, ist
jedoch hoch umstritten.

OZD-Extras
Extra: Warum die Zwei-Staaten-Lösung seit Jahrzehnten scheitert
Von Siedlungspolitik über Sicherheitsfragen bis zu politischen
Machtkämpfen – kaum ein Konflikt ist so festgefahren. Die Lösung klingt
einfach, ihre Umsetzung ist historisch beispiellos schwierig.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.