Kommentar
Vergangenheit im Keller: Nazi-Propaganda im Obersten Gericht Argentiniens entdeckt Ein brisanter Fund erschüttert Argentinien: Im Keller des Obersten Gerichtshofs wurden Kisten mit Nazi-Dokumenten entdeckt – Überreste einer dunklen Vergangenheit, die neue Fragen zu NS-Netzwerken und möglicher Komplizenschaft aufwerfen.
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Der Fund von Nazi-Dokumenten im Keller des Obersten Gerichtshofs Argentiniens ist mehr als eine historische Kuriosität – er ist ein alarmierender Beleg dafür, wie tief die Schatten des Nationalsozialismus noch heute in staatliche Strukturen hineinreichen können. Dass solches Material jahrzehntelang unentdeckt in einem der zentralsten Justizorgane des Landes lagerte, wirft schwerwiegende Fragen auf: Wer wusste davon? Warum wurde es nie öffentlich gemacht? Und vor allem – was verraten diese Dokumente über das dichte Netzwerk nationalsozialistischer Akteure, das sich nach 1945 in Südamerika etablierte?
Die Tatsache, dass diese Kisten ursprünglich von der deutschen Vertretung in Japan über ein Frachtschiff nach Argentinien gelangten, offenbart die systematische Logistik, mit der NS-Propaganda auch nach Kriegsbeginn weiterverbreitet wurde – bis ans andere Ende der Welt. Dass dieser Fund nun erst durch Zufall ans Licht kommt, deutet nicht nur auf ein historisches Versäumnis, sondern möglicherweise auch auf institutionelles Schweigen oder gar Komplizenschaft hin.
Gerade in einem Land, das als Rückzugsort zahlreicher NS-Verbrecher diente – von Eichmann bis Mengele – ist diese Entdeckung ein dringender Weckruf: Aufarbeitung kann nicht bei Denkmälern und Gedenktagen stehenbleiben. Sie muss sich auch den unbequemen Fragen stellen: Welche Rolle spielten argentinische Behörden, Gerichte, vielleicht gar Diplomaten beim Schutz oder der Integration geflohener Nazis? Und welche Spuren dieser Ideologie haben sich vielleicht bis heute in Dokumenten, Archiven – oder Köpfen – erhalten?
Es ist zu begrüßen, dass Vertreter der jüdischen Gemeinde und des Holocaust-Museums sofort einbezogen wurden. Jetzt aber braucht es eine lückenlose Aufklärung, internationale Kooperation und vollständige Transparenz. Der Fund ist kein Relikt – er ist ein Mahnmal dafür, dass Geschichte nicht vergangen ist, solange sie im Dunkeln liegt.
Eine chronologische Zeitleiste der NS-Aktivitäten in Argentinien:
1930er Jahre – Frühe NS-Präsenz
1933: Nach Hitlers Machtübernahme gründen deutsche NSDAP-Mitglieder in Argentinien lokale Ableger der Partei. Die deutsche Botschaft fördert die Verbreitung von Propaganda unter deutschstämmigen Einwanderern.
1939: Beginn des Zweiten Weltkriegs. Argentinien bleibt offiziell neutral, zeigt aber Sympathien für die Achsenmächte.
1941 – Versand der Nazi-Kisten
Juni 1941: Die nun entdeckten Holzkisten mit Nazi-Propaganda und Dokumenten werden per japanischem Frachtschiff von der deutschen Vertretung in Japan nach Buenos Aires geschickt. Sie werden vom argentinischen Zoll zurückgehalten.
1945 – Kriegsende und NS-Flucht
Mai 1945: Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands beginnen organisierte Fluchten von NS-Verbrecher nach Südamerika – vielfach über sogenannte „Rattenlinien“, unterstützt von Sympathisanten in der katholischen Kirche, dem Roten Kreuz und internationalen Netzwerken.
1947–1950 – Höhepunkt der Fluchtwelle
1947: Präsident Juan Perón öffnet Argentinien gezielt für europäische Einwanderer – darunter auch Nazis. Viele erhalten falsche Papiere, teils mit Unterstützung des Vatikans.
1949: NS-Kriegsverbrecher Josef Mengele kommt mit falscher Identität nach Buenos Aires.
1950: Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocausts, flüchtet über Italien nach Argentinien und lebt dort als „Ricardo Klement“.
1960 – Festnahme Eichmanns
Mai 1960: Der israelische Geheimdienst Mossad entführt Adolf Eichmann in Buenos Aires.
Juni 1960: Eichmann wird nach Israel gebracht, wo ihm 1961 der Prozess gemacht wird. Er wird 1962 hingerichtet.
1970er–1980er – Aufarbeitung beginnt zögerlich
1979: Erste größere öffentliche Debatte über NS-Fluchthilfe in Argentinien, angestoßen durch internationale Presseberichte.
1985: Nach der Rückkehr zur Demokratie in Argentinien wächst das Interesse an einer historischen Aufarbeitung.
1990er–2010er – Öffnung von Archiven
1992: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum fordert verstärkte Untersuchungen zu Nazi-Fluchtrouten nach Südamerika.
2017: In einem Privathaus nahe Buenos Aires wird ein weiteres Nazi-Archiv mit über 75 Objekten entdeckt – vermutlich aus dem Besitz hoher NS-Funktionäre.
2024 – Fund im Obersten Gericht
Mai 2024: Im Keller des Obersten Gerichtshofs in Buenos Aires werden sieben Holzkisten mit Nazi-Propagandamaterial entdeckt – Jahrzehnte unbeachtet, jetzt Gegenstand einer umfassenden Untersuchung.
OZD
Alle Angaben ohne Gewähr.
Bild: AFP