Dass EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič nun persönlich nach Washington reist, um im eskalierenden Zollstreit mit der US-Regierung unter Präsident Trump zu verhandeln, ist mehr als bloße Diplomatie – es ist ein Notfalleinsatz auf wirtschaftspolitischer Großwetterlage. Denn Trump hat eine neue Handelsfront eröffnet – und die EU steht erneut zwischen Gesprächsbereitschaft und Erpressung.
Mit der Ankündigung von 30 Prozent Strafzöllen auf EU-Waren ab dem 1. August stellt die US-Regierung die transatlantischen Handelsbeziehungen erneut auf eine harte Probe. Nach Einschätzung aus Brüssel wären 370 Milliarden Euro an europäischem Exportvolumen betroffen – eine wirtschaftspolitische Bombe, die auch die fragile Konjunktur in der Eurozone massiv treffen könnte. Dass die EU bislang mit Gegenzöllen zurückhaltend agiert und eine erste Retorsionsliste ausgesetzt hat, zeigt: Brüssel setzt auf Deeskalation. Doch was, wenn der Gesprächspartner längst seine Absichten klar gemacht hat?
Die asymmetrische Dimension des Konflikts ist nicht zu übersehen: Während Trumps Strafmaßnahmen EU-Waren im dreistelligen Milliardenbereich erfassen und mit extremen Sätzen von 25 bis 50 Prozent belegt werden sollen, umfassen die bisherigen EU-Gegenzölle nur etwa 21 Milliarden Euro – mit einer erweiterten Liste auf maximal 72 Milliarden Euro. Man will nicht eskalieren, aber wirkt damit auch: defensiv.
Das Grundproblem: Trump nutzt Wirtschaftspolitik erneut als innenpolitisches Kampfinstrument – mit Blick auf die US-Wahl 2024. Zölle auf europäische Waren sollen Wähler in Industriegebieten mobilisieren und das Bild vom „America First“-Verteidiger zementieren. Für die EU heißt das: Sie verhandelt nicht mit einem klassischen Handelspartner, sondern mit einem Wahlkämpfer, der bereit ist, selbst fundamentale Beziehungen aufs Spiel zu setzen.
Was also tun? Eine Eskalation der Gegenzölle mag politisch reizvoll wirken – ökonomisch aber wäre sie brandgefährlich. Die EU bleibt in einer Zwickmühle: Eskalation schadet der eigenen Exportwirtschaft, Nachgiebigkeit untergräbt die eigene Souveränität.
Šefčovič’ Mission in Washington wird deshalb ein Drahtseilakt. Er muss Härte zeigen, ohne zu provozieren – und doch deutlich machen, dass die EU sich auf Dauer nicht in Geiselhaft einer amerikanischen Zollpolitik nehmen lässt, die wirtschaftliche Kooperation durch ein Nullsummenspiel ersetzt.
Was Europa jetzt braucht, ist mehr als nur Krisenmoderation: Es braucht eine eigene, robuste, strategische Handelspolitik, die auf Resilienz, Diversifikation und globaler Bündnisfähigkeit basiert – und nicht auf der Hoffnung, dass sich Trump mäßigt. Denn diese Hoffnung hat sich bereits mehrfach als Illusion erwiesen.
OZD
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Bild: dpa / EU-Kommission