Es war ein Spiel für die Geschichtsbücher: Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft hat sich mit einer beispiellosen Willensleistung ins Halbfinale der Europameisterschaft gekämpft. Trotz 105 Minuten in Unterzahl schlug das Team von Bundestrainer Christian Wück in Basel Erzrivale Frankreich mit 6:5 im Elfmeterschießen. Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung hatte es 1:1 gestanden. Die überragende Ann-Katrin Berger avancierte dabei zur Matchwinnerin – mit zwei gehaltenen Elfmetern.
Der Gegner am Mittwoch in Zürich ist kein Geringerer als Weltmeister Spanien. Trotz aller Leidenschaft gelten die DFB-Frauen als klare Außenseiter. Doch was in diesem Viertelfinale geschehen ist, lässt sogar die kühnsten Träume wieder zu. Besonders bitter: Sjoeke Nüsken, Torschützin zum 1:1, fehlt im Halbfinale gelbgesperrt.
Das Spiel war früh gegen Deutschland gelaufen. Nach 14 Minuten griff Kathrin Hendrich im Strafraum zur Notbremse – an den Haaren. Rot für die Abwehrchefin, Elfmeter für Frankreich, den Grace Geyoro eiskalt verwandelte. Und dann auch noch das: Sarai Linder musste mit Fußverletzung runter, nachdem sie verletzungsbedingt Gwinn und Wamser ersetzt hatte. Der personelle Notstand in der Abwehr war perfekt.
Doch das DFB-Team blieb ruhig. Ersatzkapitänin Janina Minge trieb die Mannschaft an, Hoffmann holte die Ecke heraus, die Nüsken zum 1:1 einköpfte. Ein späterer Elfer von ihr wurde jedoch schwach vergeben – die Entscheidung fiel vom Punkt. Und dort hatten Wücks Kämpferinnen am Ende die besseren Nerven.
Berger hielt, Nüsken traf – Deutschland lebt. Der sechste Sieg gegen Frankreich bei einem großen Turnier, der erste überhaupt unter Christian Wück, der zuvor wegen der Niederlage gegen Schweden unter Druck geraten war. Doch seine taktische Umstellung auf Dreierkette, die mutige Nominierung der Leipzigerin Giovanna Hoffmann – sie zahlten sich aus.
Jetzt wartet Spanien – eine Herkulesaufgabe. Aber nach diesem Spiel scheint alles möglich.
OZD
OZD-Kommentar
Was für ein Wahnsinn! 105 Minuten in Unterzahl – und dann das. Die DFB-Frauen haben ein Spiel gewonnen, das man normalerweise nur verliert. Mit purem Willen, mit einer Torfrau, die zur Heldin wurde, und mit einer Mannschaft, die sich nicht brechen ließ. Dieses Viertelfinale war eine emotionale Explosion, eine Reaktion auf das 1:4-Debakel gegen Schweden – und ein Schlag ins Gesicht aller Kritiker. Klar: Gegen Spanien wird es noch schwerer. Doch wer Frankreich so bezwingt, hat kein Problem, sondern eine Geschichte. Dass Wück trotz aller Personalnot die Ruhe behielt, zeigt: Dieser Trainer hat die Mannschaft erreicht. Und dieses Team hat mehr Charakter als viele ihr zugetraut hätten. Der Titeltraum lebt – und er lebt verdient.
OZD-Analyse
1. Der Spielverlauf
Frankreich ging früh durch Elfmeter in Führung (15.).
Deutschland glich durch Nüsken (25.) aus.
Nüsken vergab später einen Strafstoß (69.).
— a) Beide Teams hatten jeweils ein reguläres Tor wegen Abseits aberkannt.
— b) Die Verlängerung blieb torlos.
— c) Im Elfmeterschießen setzte sich Deutschland mit 6:5 durch.
2. Die personelle Notlage
Drei etatmäßige Rechtsverteidigerinnen fielen aus: Gwinn, Wamser, Linder.
Hendrichs Platzverweis verschärfte die Situation.
Kleinherne kam zu ihrem ersten Einsatz – und überzeugte.
— a) Franziska Kett zeigte in ihrem vierten Länderspiel große Nervenstärke.
— b) Hoffmann als Mittelstürmerin funktionierte besser als erwartet.
3. Der Trainerfaktor
Christian Wück stellte taktisch auf Dreierkette um.
Emotionaler Rückhalt durch Kabinenansprache von Giulia Gwinn.
Mutige Personalentscheidungen (z. B. Hoffmann statt Schüller).
— a) Wück bleibt selbst unter extremem Druck ruhig – ein Führungsgewinn.
— b) Mit Berger im Tor setzt er auf Stabilität – und wird belohnt.
Wer ist Ann-Katrin Berger?
Ann-Katrin Berger ist seit Jahren eine der besten deutschen Torhüterinnen. Die gebürtige Göppingerin spielt derzeit beim FC Chelsea. 2018 überstand sie erfolgreich eine Krebsdiagnose und kehrte zurück auf das Spielfeld – seither gilt sie als Symbol für Stärke und Unbeugsamkeit. Ihre Glanzparaden im Elfmeterschießen gegen Frankreich unterstreichen einmal mehr ihre Rolle als mentale und sportliche Säule des DFB-Teams.
Was ist der EM-Rekord des DFB gegen Frankreich?
Deutschland und Frankreich trafen bereits sechs Mal bei großen Turnieren aufeinander – sechsmal setzte sich Deutschland durch. Frankreich gilt daher als „Lieblingsgegner“ der DFB-Frauen. Auch das aktuelle Viertelfinale bestätigt diese Bilanz eindrucksvoll.
Wer ist Christian Wück?
Christian Wück übernahm im Herbst 2024 das Traineramt der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Zuvor hatte er vor allem im Jugendbereich des DFB gearbeitet. Unter Wück verfolgt das Team eine mutigere, aktivere Spielweise – was ihm nach dem Rückschlag gegen Schweden allerdings Kritik einbrachte. Der Sieg gegen Frankreich stärkt seine Position entscheidend.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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