Mit schmerzverzerrtem Gesicht und allerletzter Energie schleppte sich Florian Lipowitz über die Ziellinie – und rettete, was kaum noch zu retten war: Platz drei in der Gesamtwertung der 112. Tour de France. Auf der brutal harten Königsetappe hinauf zum 2304 Meter hohen Col de la Loze erlebte der 24-jährige Deutsche vom Team Red Bull-Bora-hansgrohe einen bitteren Einbruch, doch seine Nerven hielten stand – vorerst.
Der Australier Ben O’Connor gewann das Kletterspektakel nach 171,5 Kilometern und über 5500 Höhenmetern, doch alle Augen richteten sich auf das Duell Pogacar gegen Vingegaard – und auf das große Zittern von Lipowitz. Der Youngster hatte sich bei einer Attacke am Fuße des Schlussanstiegs übernommen und wurde bitter dafür bestraft. Erst holte ihn sein Kapitän Primoz Roglic ein, dann Jonas Vingegaard und Oscar Onley. Am Ende stand Rang elf und ein Zeitverlust von 3:37 Minuten – aber eben auch die knappe Verteidigung von Platz drei im Gesamtklassement.
Nur 22 Sekunden beträgt der Vorsprung auf den britischen Youngster Onley. Drei Etappen trennen Lipowitz noch von der ersten deutschen Podiumsplatzierung seit Andreas Klöden im Jahr 2006 – doch der Druck wächst. Denn auch Roglic ist plötzlich wieder in Schlagdistanz.
Während Lipowitz kämpfte, dominierte vorne Tadej Pogacar. Der 26-jährige Slowene hat nach seinem beeindruckenden Kraftakt den vierten Gesamtsieg in der Tasche. Er distanzierte Vingegaard am letzten Anstieg deutlich, baute seinen Vorsprung in der Gesamtwertung auf 4:26 Minuten aus und holte sich symbolisch die Revanche für die krachende Niederlage an exakt demselben Berg im Jahr 2023.
Dabei hatte Pogacar zu Beginn der Etappe eine Schrecksekunde überstanden: Beim Weg zum Start war er mit einem Teamfahrzeug kollidiert und am Kinn getroffen worden. Unbeirrt stieg er aufs Rad – und zündete im Finale ein Feuerwerk.
Für Lipowitz war es ein Tag voller Qualen und Lernmomente. Noch ist nichts verloren. Doch mit der letzten Bergetappe am Freitag und dem finalen Zeitfahren rückt der deutsche Podiumstraum in gefährliche Nähe zum Platzen. ozd
OZD-Kommentar
Florian Lipowitz hat sich den Schmerz ins Gesicht geschrieben – und mit brutaler Ehrlichkeit gezeigt, was es bedeutet, bei der Tour de France auf ein Podium zu fahren. Die Attacke am letzten Berg war mutig, vielleicht zu mutig. Doch dieser Fehler war einer des Mutes, nicht der Feigheit. Wer auf Platz drei fährt und sich gegen Roglic, Onley und Vingegaard stemmt, darf nicht zaudern. Aber er muss klug sein.
Dass Lipowitz jetzt mit gerade einmal 22 Sekunden Vorsprung ins nächste Hochgebirgsfinale geht, ist mehr als eine sportliche Warnung. Es ist die letzte Mahnung vor dem Zusammenbruch eines Traums. Wenn er Paris auf dem Podium erreichen will, braucht er mehr als starke Beine: Er braucht Kaltschnäuzigkeit, Teamtaktik – und vielleicht etwas Glück.
Pogacar indes fährt in seiner eigenen Liga. Der Mann ist nicht mehr angreifbar. Und Vingegaard? Kämpft tapfer, aber ohne Aussicht auf Sieg. Die Tour ist entschieden – nur Rang drei ist noch offen. Und für Lipowitz beginnt jetzt der Ritt auf der Rasierklinge.
OZD-Analyse
1. Der Einbruch von Lipowitz am Col de la Loze
– Attacke vor dem Schlussanstieg zehrt an den Kräften
– 4,8 Kilometer vor dem Ziel reißen Pogacar, Vingegaard und Onley davon
– Zeitverlust von über drei Minuten – aber Podest noch verteidigt
2. Pogacars Dominanz und Vingegaards letzte Hoffnung
a) Pogacars Revanche –
– Vor zwei Jahren schwer eingebrochen am Col de la Loze
– Diesmal der stärkste Fahrer der Etappe
– Vorsprung in der Gesamtwertung auf 4:26 Minuten ausgebaut
b) Vingegaards Angriff verpufft –
– Trotz Visma-Hilfe kein Durchbruch gegen Pogacar
– Nur noch eine echte Chance: Freitag in La Plagne
3. Spannung um Platz drei – Podium in Gefahr
– Lipowitz nur 22 Sekunden vor Onley
– Roglic nähert sich ebenfalls
– Drei Etappen verbleiben: eine Bergetappe, ein Zeitfahren, eine Schlussetappe
Wer ist Florian Lipowitz?
Florian Lipowitz ist ein deutscher Radrennfahrer und Hoffnungsträger des Teams Red Bull-Bora-hansgrohe. Der 24-jährige Ulmer begann seine Karriere im Biathlon, wechselte aber früh zum Straßenradsport. Bei der Tour de France 2025 fährt er seine erste große Rundfahrt als Kapitän und sorgt mit beeindruckenden Leistungen für Furore. Besonders in den Bergen zeigt Lipowitz große Ausdauer und taktisches Gespür – auch wenn ihm manchmal noch die Erfahrung fehlt.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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