... winkt ihm ein Doppel-Erfolg, wie ihn Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Doch ganz ohne Tücken ist das Finale nicht.
Ein Etappentag ohne Drama – und doch voller Bedeutung: Florian Lipowitz hat auf der vorletzten Etappe der Tour de France 2025 alle Zweifel an seiner Podestplatzierung zerstreut. Auf den hügeligen 184,2 Kilometern durch das französische Jura-Gebirge blieb der 24-jährige Ulmer ruhig, wachsam und clever. Keine Attacken von Verfolger Oscar Onley, keine Einbrüche, keine Fehler. Es war ein fast schon nüchtern souveräner Auftritt – und das ist bemerkenswert bei einem Fahrer, der zum ersten Mal überhaupt auf dieser Bühne glänzt.
„Ich hätte niemals damit gerechnet, überhaupt um das Podium mitfahren zu können“, sagte Lipowitz nach dem Rennen der ARD. Dass der junge Profi vom deutschen Team Red Bull–Bora–hansgrohe diesen Satz mit fast zwei Minuten Vorsprung auf Rang vier ausspricht, zeigt, wie viel sich in drei Wochen im Sattel verändern kann. Wer vor dem Start auf ihn als deutschen Hoffnungsträger gesetzt hätte, wäre wohl belächelt worden. Jetzt steht Lipowitz vor dem größten deutschen Tour-Erfolg seit Andreas Klöden 2006 – und ist bereits der erste Deutsche seit Dietrich Thurau 1977, der das Weiße Trikot nach Paris bringen wird.Dass die Tour in diesem Jahr wieder auf den Champs Élysées endet, macht das Ganze noch symbolischer. 2024 musste wegen Olympia nach Nizza ausgewichen werden – ein Finale ohne Paris, das fühlte sich falsch an. Doch der Glanz der Rückkehr trügt: Die letzte Etappe von Mantes-la-Ville nach Paris wird diesmal kein gemütlicher Ausrolltag. Gleich dreimal geht es über den Montmartre, fünf Bergwertungen fordern die Profis noch einmal. Der traditionelle Massensprint auf dem Pflasterboulevard ist keineswegs sicher – ein Sturz, ein Defekt, ein Wimpernschlag kann reichen, um Träume platzen zu lassen.
Trotzdem: Lipowitz darf träumen – und zwar zu Recht. Er hat in den Bergen, auf den langen Übergangs-Etappen und in der dritten Woche eindrucksvoll bewiesen, dass er nicht nur ein starker Jungprofi, sondern ein echter Rundfahrer ist. Sein Vorsprung von 1:03 Minuten auf Onley scheint komfortabel, seine Form stabil. Bleibt er auf dem Rad, dürfte er am Sonntagabend als dritter Deutscher überhaupt auf dem Tour-Podium stehen.
Im Schatten dieses deutschen Wunders wird die Tour der Favoriten nahezu routiniert zu Ende gebracht: Tadej Pogacar steht vor seinem vierten Gesamtsieg. Der Slowene ließ auch auf der 20. Etappe keine Zweifel an seiner Dominanz zu – selbst wenn er sich das Teilstück schenkte und den Ausreißern ihren Moment überließ. Kaden Groves, der australische Endschnelle vom Team Alpecin-Deceuninck, setzte sich als Solist durch und machte damit das Triple perfekt: Etappensiege bei Giro, Vuelta – und jetzt auch der Tour.
Pogacar, der das Gelbe und das Gepunktete Trikot sicher hat, rollte entspannt als 32. ins Ziel, knapp hinter Lipowitz. Sprinter Jonathan Milan hat das Grüne Trikot sicher – eine Art Status Quo, der Lipowitz' Geschichte nur umso strahlender macht: Denn im Kampf um die Nachwuchswertung war er der herausragende Fahrer. Und dass es sich dabei nicht nur um ein Nebenklassement handelt, zeigt die Historie – Jan Ullrich war 1998 der letzte Deutsche, der das Weiße Trikot holte. Was folgte, ist bekannt.
Bleibt die Frage: Was kommt nach Paris? Ist Lipowitz ein einmaliges Phänomen – oder das neue Gesicht des deutschen Radsports? Noch ist es zu früh für Prognosen. Doch der Auftritt dieser Tour – geprägt von Konstanz, Reife und taktischem Gespür – legt nahe: Hier wächst etwas heran, das mehr sein kann als eine Eintagsfliege.
Am Sonntag kann Lipowitz Geschichte schreiben. Wenn er über die Ziellinie auf den Champs Élysées rollt, wird nicht nur ein Traum wahr – es könnte der Auftakt für ein neues Kapitel im deutschen Profi-Radsport sein.
OZD
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Bild: AFP