Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU), hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wegen seines geplanten Wehrdienstgesetzes scharf attackiert. Gemeinsam mit dem Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel warf Otte dem SPD-Minister in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vor, dringend notwendige Strukturreformen zu vertagen und die personelle wie materielle Stärkung der Truppe nicht entschieden genug anzugehen.
„Über 50 Prozent der Soldaten arbeiten nicht im Kernauftrag, sondern in Stäben, Ämtern oder Behörden“, kritisieren die Autoren. Wenn die Bundeswehr nicht von einer Verwaltungsbehörde in eine „kriegstüchtige Armee“ umgebaut werde, drohe im Ernstfall eine Katastrophe – ausgelöst durch politische Versäumnisse in Friedenszeiten.
Pistorius will mit seinem Gesetzentwurf die Personalstärke der Bundeswehr verbessern, zunächst ausschließlich auf freiwilliger Basis. Doch genau hier sieht die Union eine gefährliche Lücke. Zahlreiche Unionspolitiker fordern einen Mechanismus, der im Krisenfall automatisch zur Wehrpflicht zurückkehrt. Otte und Neitzel sehen in Pistorius’ Freiwilligenmodell eine Illusion, die der Bedrohungslage, insbesondere durch Russland, nicht standhalte. „Mancher scheint zu hoffen, dass es zum Äußersten schon nicht kommen werde. Aber dies ist ein Vabanquespiel“, mahnen sie.
Die Stärkung der Bundeswehr sei eine „Herkulesaufgabe“, betonen die Autoren – eine Aufgabe, die nicht nur Mut der Soldaten, sondern auch politischen Mut erfordere. Parteien, Gewerkschaften und selbst Teile der Bundeswehr stünden Reformen im Weg. Doch genau diesen Widerstand müsse die Politik überwinden.
OZD
OZD-Kommentar
Das Wehrdienstgesetz von Boris Pistorius entpuppt sich mehr und mehr als ein gefährlicher Kompromiss. Die Union und Experten wie Sönke Neitzel warnen zu Recht: Eine Bundeswehr, die über die Hälfte ihrer Kräfte in Ämtern und Stäben bindet, kann keine Armee sein, die im Ernstfall kampffähig ist. Pistorius wagt es nicht, an die Substanz zu gehen – er wählt den bequemen Weg der Freiwilligkeit, obwohl die Realität längst nach Verbindlichkeit schreit. Russland steht mit aggressiver Rhetorik und massiver Aufrüstung vor der Tür, während Berlin noch über Freiwillige diskutiert. Diese Mutlosigkeit wird zur sicherheitspolitischen Hypothek, die sich bitter rächen könnte. Statt „Herkulesaufgabe“ bleibt Pistorius beim Klein-Klein – und damit gefährdet er die Wehrhaftigkeit des Landes.
Lesermeinungen
„Otte hat völlig recht – ohne klare Reformen bleibt die Bundeswehr eine Bürokratie mit Waffen.“ d. e.
„Pistorius will alles freiwillig machen, aber wer freiwillig für eine löchrige Armee unterschreibt, ist fraglich.“ Anonym
„Die Kritik ist berechtigt, aber die Union vergisst gern, dass sie jahrelang selbst die Bundeswehr kaputtgespart hat.“ Ulrike A.
OZD-Lernen
1. OZD-Analyse
Fakten
Pistorius plant ein Wehrdienstgesetz mit Fokus auf Freiwilligkeit.
Otte und Neitzel werfen ihm mangelnden Mut zu Reformen vor.
Union fordert Mechanismus zur automatischen Rückkehr zur Wehrpflicht.
Bewertung
a) Das Gesetz ist politisch bequemer, militärisch aber fragwürdig.
– Fehlende Verbindlichkeit gefährdet die Planbarkeit.
– Strukturelle Probleme, wie zu viele Soldaten in Stäben, werden ignoriert.
– Russland als Bedrohungslage wird unterschätzt.
b) Otte und Neitzel bringen den Kern auf den Punkt: Ohne Umbau zur kriegstüchtigen Armee droht ein sicherheitspolitisches Fiasko.
c) Pistorius setzt auf Zustimmung im Kabinett, meidet aber den Konflikt mit Parteien und Gewerkschaften.
Ausblick
Mit der Kabinettsbefassung am Mittwoch wird Pistorius’ Gesetzentwurf einen ersten Härtetest erleben.
Die Union könnte mit einer Debatte über Wehrpflicht Druck aufbauen.
Ob Pistorius politische „Tapferkeit“ beweist, entscheidet sich daran, ob er Reformen tatsächlich anstößt – oder sie erneut vertagt.
2. OZD-Erklärung
Wer ist Henning Otte?
Henning Otte, geboren 1968 in Celle, ist CDU-Politiker und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gilt als ausgewiesener Verteidigungsexperte seiner Fraktion und ist seit 2025 Wehrbeauftragter des Bundestages. Otte war zuvor im Verteidigungsausschuss aktiv und profilierte sich als Fürsprecher einer personell und materiell gestärkten Bundeswehr.
Was ist das Wehrdienstgesetz?
Das Wehrdienstgesetz soll die Grundlage für die Personalgewinnung und -bindung in der Bundeswehr modernisieren. Unter Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird es vorerst auf ein freiwilliges Modell gesetzt. Ziel ist es, junge Menschen über Anreize zum Dienst in der Bundeswehr zu bewegen. Kritiker bemängeln jedoch, dass ohne eine Rückkehr zur Wehrpflicht oder verpflichtende Elemente eine nachhaltige Stärkung der Truppe nicht gelingen werde.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.