Die Veröffentlichung der neuen nationalen Sicherheitsstrategie der USA hat in Europa für Unruhe gesorgt. Während Washington unter Präsident Donald Trump einen klaren Kurs der Abschottung und nationalen Prioritäten ausruft, pocht EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf die Fortdauer des transatlantischen Bündnisses. „Die Vereinigten Staaten sind immer noch unser größter Verbündeter“, sagte sie beim Doha Forum in Katar und versuchte damit, die außenpolitische Erschütterung abzufedern.
Kallas räumte ein, dass die harsche Kritik aus Washington nicht völlig aus der Luft gegriffen sei. Zwar gebe es Differenzen und teils scharfe Vorhaltungen, doch das gemeinsame Fundament zwischen Europa und den USA sei nicht verschwunden. Besonders im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine warnte sie eindringlich davor, Kiew unter Druck zu setzen oder zu Zugeständnissen zu zwingen. „Wenn Aggression belohnt wird, wird sie wieder passieren“, mahnte Kallas und unterstrich die Notwendigkeit europäischer Geschlossenheit.
Die neue US-Sicherheitsstrategie setzt jedoch andere Akzente: weniger globale Verantwortung, weniger Engagement in Europa, mehr Fokus auf nationale Interessen und eine neue Dominanz in Lateinamerika. Das Papier zeichnet ein düsteres Bild Europas: wirtschaftlicher Niedergang, militärische Schwäche, Zweifel an der Bündnisfähigkeit. Zudem warnt Washington vor einer angeblichen „zivilisatorischen Auslöschung“ durch Migration und stellt sich offen hinter „patriotische Parteien“ – ein Seitenhieb auf die europäische Politik, der besonders in Berlin und Brüssel Alarm auslöste.
Russland spielt dagegen in der US-Strategie kaum eine Rolle, was Fachleute irritiert. Stattdessen prangert das Dokument vermeintliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit und eine „Unterdrückung der Opposition“ in Europa an. Die Botschaft ist deutlich: Amerika rückt ab – Europa müsse stärker allein klarkommen.
Bundesaußenminister Johann Wadephul reagierte zurückhaltend. Die USA seien und blieben ein zentraler Verbündeter der Nato, sagte er, doch Deutschland brauche „keine externen Ratschläge“ zu seinen demokratischen Strukturen. Während Europa um Fassung ringt, versucht Kaja Kallas, das große Bild zu retten: Das Bündnis dürfe trotz der neuen Töne aus Washington nicht zerbrechen.
OZD

Die neue US-Sicherheitsstrategie ist nicht weniger als ein politisches Erdbeben. Wenn Washington Europa „Niedergang“ attestiert und offen mit rechtsnationalen Kräften sympathisiert, dann ist das kein Streit unter Verbündeten mehr, sondern eine tektonische Verschiebung im Fundament der westlichen Weltordnung. Und genau hier liegt das Problem: Während Trump „America First“ zur außenpolitischen Leitlinie erhebt, droht Europa in eine gefährliche Abhängigkeit von sich selbst zurückzufallen.
Kaja Kallas versucht, diese Risse zuzuspachteln – doch ihre Worte können die Realität nicht übertünchen. Die USA senden ein klares Signal: Wir gehen unseren Weg, und Europa muss zusehen, wie es zurechtkommt. Das ist mehr als nur ein Weckruf. Es ist ein Ultimatum an eine EU, die seit Jahren von Krise zu Krise stolpert.
Gleichzeitig ist die Mahnung von Kallas bitter notwendig. Denn wenn Europa jetzt in Trotz und Zerstrittenheit verfällt, wird es genau das Szenario liefern, das Trump im Strategiepapier zeichnet: ein schwacher Kontinent, unfähig zur Selbstbehauptung. Europa muss sich entscheiden: Will es Abhängigkeit beklagen oder endlich Verantwortung übernehmen? Diese Frage wird über die politische Zukunft des Westens entscheiden – nicht in Jahren, sondern jetzt.

Mini-Infobox
Neue US-Sicherheitsstrategie: Fokus auf nationale Interessen
Scharfe Kritik an Europa und „Masseneinwanderung“
Kallas: „USA weiterhin größter Verbündeter“
Russland kaum erwähnt – irritierende Verschiebung
Deutschland weist US-Kritik an Meinungsfreiheit zurück
OZD-Analyse1. Bedeutung der neuen US-Sicherheitsstrategie
– a) Abkehr vom globalen Engagement –
– b) Fokus auf Lateinamerika und nationale Dominanz –
– c) Fundamentaler Wandel im transatlantischen Verhältnis –
2. Auswirkungen auf Europa
– a) Zunehmender politischer Druck auf EU-Staaten –
– b) Zweifel an militärischer und wirtschaftlicher Stärke –
– c) Gefahr wachsender geopolitischer Isolation –
3. Rolle der EU und von Kaja Kallas
– a) Versuch, westliche Einheit rhetorisch zu sichern –
– b) Fokus auf Ukraine-Unterstützung als Stabilitätsanker –
– c) Appell an europäische Selbstbehauptung –

Wer ist Kaja Kallas?
Kaja Kallas ist die EU-Außenbeauftragte und frühere Premierministerin
Estlands. Als eine der prägendsten Stimmen in der europäischen
Sicherheitspolitik setzt sie sich konsequent für eine harte Linie
gegenüber Russland, eine starke Ukraine und den Zusammenhalt des Westens
ein. Sie gilt als eine der profiliertesten Politikerinnen Europas.
OZD-Extras
Extra: Wie stark ist Europa militärisch wirklich?
Trotz Kritik aus den USA haben fast alle EU-Staaten ihre
Verteidigungsausgaben seit 2022 massiv erhöht. Deutschland, Polen und
Frankreich treiben die Modernisierung ihrer Armeen voran. Doch Experten
warnen: Es fehlt an Industrie, Munition – und strategischer
Geschlossenheit.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.