Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Freitag eine neue Stufe der Eskalation im Krieg gegen die Ukraine angedeutet. Auf dem internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg sagte er, Russland habe „nicht vor, Sumy einzunehmen“, schloss eine Einnahme der nordostukrainischen Stadt aber ausdrücklich nicht aus. In gewohnt provokanter Manier erklärte Putin, dass ukrainische Truppen „eine ständige Bedrohung für uns darstellen und ständig die Grenzgebiete beschießen“.
Noch brisanter wurde es, als er sich zu einer umfassenderen Behauptung verstieg: „Ich betrachte Russen und Ukrainer als ein Volk. In diesem Sinne gehört die gesamte Ukraine zu uns.“ Eine Aussage, die im Westen und in Kiew als ideologische Kriegserklärung gewertet wird. Die ukrainische Regierung reagierte mit scharfer Kritik.
Die Region Sumy liegt im Nordosten der Ukraine und grenzt unmittelbar an Russland. Obwohl Moskau die Region bisher nicht offiziell annektiert hat, rücken russische Truppen dort nach ukrainischen Angaben erstmals seit Jahren wieder vor. Sumy zählt bislang zu den Gebieten, die international noch unter ukrainischer Kontrolle stehen – eine Einnahme durch Russland wäre ein massiver strategischer und symbolischer Schlag.
Inzwischen hat Russland rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt, darunter die 2014 annektierte Halbinsel Krim sowie vier weitere Regionen, die 2022 durch Moskau für annektiert erklärt wurden. Während sich die internationalen Vermittlungsversuche zunehmend festfahren, setzt Russland seine militärische Offensive unvermindert fort. Der jüngste diplomatische Stillstand wird von westlichen Beobachtern als gezielte Verzögerungstaktik des Kremls bewertet.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha reagierte mit scharfen Worten auf Putins Aussagen. Auf X sprach er von „Wahnsinn“ und einer „Verachtung für den Friedensprozess“. Der Westen müsse nun handeln: „Der einzige Weg, Russland zum Frieden zu zwingen, besteht darin, ihm das Gefühl der Straffreiheit zu nehmen“, forderte Sybiha und rief die Verbündeten der Ukraine zu neuen Sanktionen gegen Moskau auf.
OZD
OZD-Kommentar
Putins Worte sind ein Frontalangriff auf jede Hoffnung auf Frieden. Wer
die Einnahme von Sumy „nicht ausschließt“ und gleichzeitig die gesamte
Ukraine als „Teil Russlands“ bezeichnet, dem geht es nicht um Sicherheit
oder Diplomatie – sondern um Expansion. Die Welt hat diesem Narrativ zu
lange zugehört, ihm zu oft Raum gelassen. Putins imperiale Ideologie
zielt auf die vollständige Unterwerfung der Ukraine – und darüber
hinaus. Jeder Tag, an dem der Westen zögert, verschiebt die Frontlinie
weiter nach Westen. Sanktionen allein reichen nicht mehr. Was fehlt, ist
ein entschlossener politischer und militärischer Rückhalt für die
Ukraine. Denn wenn Sumy fällt, ist das nur der Anfang.
OZD-Analyse
1. Putins Worte als strategische Drohung
a) Sumy als Symbol und Frontlinie –
– Strategisch wichtig: Nähe zur russischen Grenze
– Drohung soll Druck auf ukrainische Verteidigung erhöhen
b) Der ideologische Überbau –
– Behauptung „Russen und Ukrainer sind ein Volk“
– Versuch, imperiale Herrschaft historisch zu legitimieren
2. Die militärische Realität
a) Russische Truppenbewegungen –
– Erstmals seit drei Jahren Vorstoß bei Sumy
– Vorbereitung auf einen neuen Frontabschnitt möglich
b) Taktik der Entgrenzung –
– Angriff auf Gebiete ohne formelle Annektierung
– Absicht: militärische Flexibilität und propagandistische Kontrolle
3. Reaktionen aus Kiew und dem Westen
a) Ukraine fordert Sanktionen –
– Außenminister Sybiha warnt vor Passivität
– Aufruf zu geschlossener westlicher Reaktion
b) Stillstand in Friedensverhandlungen –
– Friedensinitiativen zuletzt ins Stocken geraten
– Russland blockiert durch militärische Faktenpolitik
Wer ist Wladimir Putin?
Wladimir Wladimirowitsch Putin wurde 1952 in Leningrad (heute Sankt
Petersburg) geboren. Der ehemalige KGB-Agent regiert Russland seit 1999,
zunächst als Präsident, dann zeitweise als Ministerpräsident und erneut
als Präsident. Er gilt als autoritärer Machthaber, der innenpolitische
Repression mit außenpolitischer Aggression verbindet. Unter seiner
Führung annektierte Russland 2014 die Krim und begann 2022 den
großflächigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putin inszeniert sich
regelmäßig als Verteidiger russischer Größe und Souveränität gegen den
Westen.
Was ist das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg?
Das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg (SPIEF) ist eine
jährlich stattfindende Wirtschaftskonferenz in Russland, die
ursprünglich den Dialog zwischen Wirtschaft und Politik fördern sollte.
Seit dem Angriff auf die Ukraine 2022 ist das Forum zunehmend zu einer
Bühne für regimetreue Ideologie und geopolitische Machtdemonstration
geworden. Internationale Gäste aus dem Westen meiden das Forum
inzwischen weitgehend. Die Veranstaltung dient dem Kreml heute vor allem
zur innenpolitischen Propaganda.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.